Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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03MRZ2020
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Wenn die Toten reden könnten… was würden sie dann erzählen? Das hat sich der Schriftsteller Robert Seethaler gefragt. In seinem Roman „Das Feld“ lässt er die Menschen, die auf dem Friedhof einer Kleinstadt begraben liegen, ihre Geschichten erzählen. Manche erzählen nur kurze Begebenheiten, manche fast ihr ganzes Leben.

Da schildert ein Paar seine Ehe. Zuerst erzählt die Frau, dann der Mann. Und es wird klar: die beiden haben aneinander vorbei gelebt. Eine junge Mutter berichtet, wie sie sich im Urlaub verletzt und eine Blutvergiftung geholt hat. Oder ein Mann erzählt, wie ihm sein Vater als Kind eingeimpft hat: „Du bist ein Gewinner“. Aber dann musste er viele Niederlagen einstecken.

Die Verstorbenen im Roman haben meistens traurige oder tragische Geschichten zu erzählen. Das Glück ist in dieser kleinen Stadt rar gesät. Das macht einen beim Lesen ein bisschen melancholisch.

Aber irgendwie haben mich die Toten mit ihren Geschichten auch beruhigt. Ich habe gemerkt: Glücklich sein ist kein Dauerzustand in einem Leben – und muss es auch nicht sein. Das Glück, das sind Momente. Ich kann dankbar sein, wenn ich sie erfahre. Wenn die Toten in dem Roman von sich erzählen, dann holen sie mich auf den Boden der Realität zurück. „Warum sollte es bei Dir anders sein als bei uns?“, fragen sie mich spöttisch. Und ich lerne: Kein Leben läuft ideal. Gesundheit, gute Beziehungen, Mit-mir-selbst-zufrieden-Sein – das sind keine Selbstverständlichkeiten. Es sind Kostbarkeiten, wann immer sie auftauchen.

Als ich den Roman gelesen habe, habe ich mich aber auch immer wieder gefragt: Ist das alles? Die Toten bleiben in ihren Gräbern und murmeln ihre Geschichten? Ob und wie es mit ihnen weitergeht, erzählt Robert Seethaler nicht. Sein Roman hat kein Happy End. Aber als Christ glaube ich, dass es eins gibt. Das geht ungefähr so:

Die Menschen auf dem Friedhof erzählen ihre Geschichten nicht ins Nichts hinein, Gott hört, was sie erzählen und antwortet ihnen. Gott und die Toten kommen miteinander ins Gespräch über ihre Leben, über Glück und Unglück, über das, was andere ihnen schuldig geblieben sind und darüber was sie anderen schuldig geblieben sind. Dabei kommt viel zurecht.

Und dann kommt der Tag, da sieht die Mutter, die zu früh gestorben ist, ihre Kinder wieder. Das Ehepaar, das aneinander vorbeigelebt hat, versteht sich zum ersten Mal. Und der Vater, der seinem Sohn das Leben schwer gemacht hat, bittet ihn um Verzeihung. Und der Sohn nimmt ihn einfach in den Arm. – In der Bibel heißt dieses Happy End Auferstehung der Toten.

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