Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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24FEB2020
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Eine seltsame Närrin, die nachher beim Rottweiler Narrensprung „d´Schtadt na goht“, wie man dort sagt. Es ist die „Rottweiler Briekere“, eine herzzerreißend weinende Gestalt im Narrenkleid. Rings um sie herum tanzen die Schellnarren wie verrückt im Takt der Musik. „Feadrehannes“ vollführen ihre tollkühnen Sprünge. Die „Briekere“ aber trippelt schluchzend mit und wischt sich den lieben langen Fasnets-Tag die Tränen aus den Augen, die ihr in schweren Tropfen aus der „Larve“ kullern – so nennt man die hölzerne Maske. 

Vordergründig beweint diese weinende Närrin das bevorstehende Ende der „glückseligen Fasnet“. Doch ihre Tränen verraten eigentlich mehr: Freud und Leid liegen nahe beieinander. Vergesst das ja nicht, ihr Narren! Die „Briekere“ - ein mahnendes Zeichen inmitten des närrischen Trubels. Keine Maskerade kann verbergen, keine Schminke übertünchen, kein G´schell übertönen, dass wir sterblich sind. „Jede Freude wird am Rande eines Abgrunds gepflückt. Tanze, wo du willst, du tanzest über Gräbern“, mahnte im Jahre 1853 der Journalist Carl Ludwig Börne [1])

Unter der „Larve“ rinnt nicht nur der Schweiß, sondern auch manch heimliche Träne – um eine verlorene Liebe zum Beispiel, oder aus Kummer und Leid. Auch an Fasnet weinen Eltern um ihr verstorbenes Kind. Man wird auch heute wieder Schwerverletzte aus den Trümmern ihrer Fahrzeuge schneiden müssen. Und viele Menschen werden eben in diesen Minuten an den Tropf gehängt – in der Hoffnung, mit Hilfe einer Chemo den Krebs zu besiegen. 

Dennoch darf die Fasnet bleiben, was sie immer schon war: Ein ausgelassenes Fest der Freude darüber, dass wir atmen, uns bewegen und sind. Die „Rottweiler Briekere“, die weinende Närrin, ist keineswegs eine Spaßverderberin – im Gegenteil! Sie deutet nur an: Schmerz, Trauer und Tod laufen mit. Wer sie nicht verdrängt, sondern bewusst in sein Leben miteinbezieht, der kann lachen und feiern. 

Umso mehr, als Jesus selbst sozusagen eine „glückselige Fasnet“ verkündet, wenn er die Weinenden tröstet: „Selig seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen“(Lukas-Evangelium 6,21).

 

 

[1]    Carl Ludwig Börne(* 6. Mai1786im jüdischen Ghettovon Frankfurt am Mainals Juda Löb Baruch; † 12. Februar1837in Paris),  deutscherJournalist, Literatur-und Theaterkritiker. Im „Montagsblatt“ 1853, S. 42

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