Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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18FEB2020
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„Schafft Recht den Geringen und Waisen, Gerechtigkeit für die Armen und Bedürftigen!“ (Psalm 82,3) Das steht in einem Gebet in der Bibel, im Psalm 82. Gute Idee, sagen Sie jetzt vielleicht. Aber tun sie auch etwas außer Beten, die Kirchen, die Christen, die Gläubigen?

Ja, sie tun was. Schon immer und in vielen Einrichtungen und Hilfswerken. Besonders sehen kann man das seit 25 Jahren in der Zeit des Vesperkirchen. In diesen Wochen ist es wieder soweit. In 34 Gemeinden in Baden Württemberg, aber auch in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen werden für ein paar kalte Wochen Kirchen leer geräumt. Menschen finden dann dort ein Mittagessen kostenlos oder für ganz wenig Geld, ein Vesperpaket für den Abend und viel Wärme für alle, die sonst auf der Straße leben. In Stuttgart zum Beispiel werden jeden Tag ungefähr 600 Essen ausgegeben. In manchen Vesperkirchen gibt es auch einen kostenlosen Arzt und einen Friseur.

Das wäre nicht möglich ohne Spenden und viele viele ehrenamtliche Helfer. Das machen ganz verschiedene Menschen, Schüler und Studenten, Berufstätige und Rentnerinnen und Rentner. Sie alle wollen es nicht bei schönen Worten und Appellen belassen, sondern ernst machen mit dieser Aufforderung aus dem alten Gebet: „Schafft Recht den Geringen und Waisen, Gerechtigkeit für die Armen und Bedürftigen!" (Psalm 82,3) Und sie sind fröhlich dabei – denn es tut gut, wenn man sieht, wie man helfen kann und dass das gar nicht so schwer ist.

Nun sagen manche: Was für ein Unglück, dass es diese Vesperkirchen gibt. Eigentlich dürfte es sie ja gar nicht geben in unserem reichen Land. Sie verdecken doch bloß die Ungerechtigkeit und die Armut. Dabei stimmt das gar nicht. In und vor den Vesperkirchen wird Armut sehr deutlich sichtbar. Da kann man Arme sehen und erfahren, warum sie arm sind und wie sie es geworden sind. Und es sind viele. So sieht man vielleicht leichter, was getan werden muss. So gesehen sind die Vesperkirche wirklich ein Segen. Da gibt es ja nicht nur ein warmes Essen – da gibt es ein Zuhause auf Zeit für Menschen, die sonst niemanden haben. Sie finden dort andere, mit denen sie sprechen können und fühlen sich nicht so allein.

Was würden Sie sagen: Sind die Vesperkirchen ein Unglück? Oder ein Segen?
Ich weiß, ungerechte Strukturen beseitigen sie nicht. Aber nicht jedem ist mit einem Arbeitsplatz geholfen oder mit einem Platz im Wohnheim. Deshalb ist es gut, dass es die Vesperkirchen gibt. Denn sie geben, was am allerwichtigsten ist: ein warmes Zuhause, wenn auch nur für ein paar Stunden. Und Menschen, die fragen: Wie geht es dir?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30346
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