Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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05FEB2020
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Freundlichkeit und Mitgefühl sind eigentlich gute Ratgeber, finde ich. Sie machen das Zusammenleben leichter. Doch nicht wenige sind der Meinung: Zeigt man sie, geht man mit einer Blessur nach Hause. Sie befürchten, in Verhandlungen über den Tisch gezogen zu werden, wenn sie freundlich sind. Sie sagen: „Freundlichkeit wird einem als Schwäche ausgelegt. Denn reicht man den kleinen Finger, will der andere gleich die ganze Hand.“ Da ist es nicht leicht dagegen zu argumentieren. Denn solche Erfahrungen sind ja real. Es kommen oftmals die schneller zum Ziel, die laut und unverschämt auftreten: Der Vater, der sich beim Kinderarzt vor dem Empfang aufbaut und erklärt, er hätte nicht den ganzen Morgen Zeit, ist tatsächlich schneller wieder draußen als alle anderen. Wer möchte sich schon mit so einem herrischen Typen anlegen?

Jesus hat einmal gesagt: „Wenn dich einer dazu zwingt, eine Meile mit ihm mitzugehen, dann gehe freiwillig noch eine zweite Meile mit ihm mit.“ Eigentlich ist das schwer einzusehen, denn so wird der andere für sein unverschämtes Verhalten sogar noch belohnt. Doch ich meine, das ist der richtige Weg. So schwer es auch fallen mag. Denn wenn ich ihn anblaffe: „Was fällt Ihnen ein!“ – dann blafft er zurück. Und das unverschämte Verhalten setzt sich fort. So verroht unser gesellschaftliches Miteinander nur noch weiter. Vielleicht hat er ja Gründe und braucht einfach dringend meine Begleitung? Ich könnte ja erst mal nachfragen. Und dann in Ruhe Ja oder Nein sagen oder einen anderen Weg vorschlagen.

Mitgefühl, Empathie sind gute Ratgeber und keine Schwäche. Sie ermöglichen es, mir darüber Gedanken zu machen, was in meinem Gegenüber wohl vorgeht. Die Meile, zu der ich gezwungen werde, kann verschieden aussehen. Es kann ein böser Brief sein, den ich freundlich beantworte. Und vielleicht schreibe ich auch noch einen zweiten, als zweite Meile. Ich mache das gelegentlich so, wenn ich böse Zuschriften bekomme. Und ich merke: Der Ton beim anderen wird ruhiger und oft hört der Hass auf. Und wenn ich merke, dass andere unter Druck gesetzt werden, dann versuche ich, ihnen beizustehen. Denn wenn viele zusammenhalten, dann sind sie stärker als der Hass. Ich möchte Freundlichkeit und Mitgefühl nicht als Schwäche auslegen. Ich halte beides für Stärken.

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