Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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24JAN2020
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In der Bibel sind immer alle lieb und nett? Weit gefehlt. Die Bibel beschönigt nichts. Schon auf den allerersten Seiten kommt es zum Mord. Da wird in aller Deutlichkeit erzählt, wie Kain eifersüchtig wird auf seinen Bruder Abel – und ihn auf freiem Feld erschlägt. Und das bleibt nicht die einzige Gewalttat in diesem heiligen Buch.

Für manche ist das ein Grund, die Bibel zur Seite zu legen. Solche Geschichten darf man doch nicht lesen oder gar weitererzählen, sagen sie.

Ich sehe das anders. Denn wenn die Bibel etwas mit dem wahren Leben zu tun haben soll, dann muss sie doch auch die dunklen Seiten des Lebens enthalten. Und dass Menschen sich gegenseitig schaden und aufeinander losgehen, das gibt es nun mal in unserer Welt. Leider.

Warum in dieser einen Geschichte Kains Eifersucht so heftig wird und schließlich in Mord mündet, das erzählt die Bibel nicht. Vielleicht ist da schon vor längerer Zeit irgendwas Entscheidendes vorgefallen, aber davon erfahren wir nichts. Und auch das ist doch bis heute oft so. Dass jemand was Schlimmes tut – und alle sind ratlos und entsetzt, wie es dazu kommen konnte.

Weil die Bibel da nichts erklärt, deutet sie zwischen den Zeilen an: Letztlich kann jeder so werden wie Kain. Auch ich kann in Situationen geraten, in denen ich meine Eifersucht nicht kontrollieren kann. Das zu erkennen kann wehtun. Aber es macht mich auch realistisch. Und mal ehrlich – wer von uns verhält sich immer lieb und nett?

Und dann sind da noch zwei Dinge in der Geschichte von Kain und Abel, die ich wichtig finde.
Das eine: Gott sieht das Unrecht, das da geschehen ist. Auch als das vertuscht werden soll. Gott vergisst Abel nicht, der sein Leben lassen musste. Das heißt für mich: Die Opfer unserer Welt, sie sind nicht vergessen. Gott kennt ihre Namen. Und wir sollten sie auch nicht vergessen. Dazu gehört für mich auch, dass sich die Täter noch verantworten müssen eines Tages. Wenn das vor einem irdischen Gericht nicht möglich ist, dann aber doch vor Gott.

Das andere ist aber: Auch Kain hat noch eine Zukunft bei Gott. In der Geschichte macht Gott Kain dann ein Zeichen, damit niemand Rache an ihm übt. Kain muss mit seiner schrecklichen Tat leben, die nimmt ihm niemand ab. Aber er behält seine Würde. Für mich bedeutet das: Die Täter bleiben Menschen. Wir haben kein Recht, ihnen das zu nehmen. Und sie verdienen die Chance, zu bereuen und sich zu ändern.

Das wahre Leben kann dunkel sein. Aber dem will ich nicht ausweichen. Und die Bibel hilft mir, damit umzugehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30171
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