Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04JAN2020
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Mein Bus hat schon Verspätung. Da steht plötzlich ein junger Mann in der vorderen Tür. Er bittet den Fahrer zu warten. Langsam nähert sich eine Frau. Sie steigt ein. Beide bedanken sich und endlich geht die Fahrt weiter. „Schon ein bisschen frech“, denke ich mir. Als der Mann an mir vorbeigeht, sehe ich seinen Ehering. Ist das seine Frau, für die er sich da eingesetzt hat. Dann erst merke ich: Die Frau ist hoch schwanger. Der Mann schaut sie an und fragt: „War das zu schnell?“ Und wie er das fragt! Und wie er sie anschaut! So zärtlich und erfüllt von Sorge - mit ganz viel Liebe. Es ist einfach so schön zu sehen, wie er sich kümmert und die beiden die Welt um sich herum fast zu vergessen scheinen. 

Ich bleibe dann an einer Frage hängen, die auf einmal einen viel größeren Horizont bekommt. Es geht nicht mehr nur um schnell oder langsam und auch nicht allein um das junge Paar. Auf einmal bin ich ganz bei mir. Bei Situationen, in denen ich mir diese Frage hätte auch stellen können, oder gar müssen: „War das zu schnell?“

Ich bin nicht allein auf der Welt. Wenn ich etwas in einer bestimmten Geschwindigkeit tue, dann hat das Folgen für die anderen, die mit mir zu tun haben. Dann ergeben sich daraus weitere Fragen: Weiß ich überhaupt, wie schnell - oder langsam - ich bin? Nehme ich wahr, welchen Rhythmus die anderen haben? Schließlich: Nehme ich mit meinem Tempo Rücksicht auf das, was die anderen brauchen, die mit mir in der gleichen Situation stecken? 

Nächste Woche, nach Dreikönig, beginnt wieder der Alltag. An manchen Tagen geht alles furchtbar schnell. Ich merke, wenn mich das anstrengt. Leider merke ich zu selten, dass ich  derjenige war, der Tempo gemacht hat. Schneller, damit noch mehr erledigt werden kann. Wir leben in einer hektischen Welt. Und ich weiß, dass Eile nicht gut ist. Trotzdem kann ich so schlecht aus meiner Haut, aus meiner Gewohnheit, vieles schnell zu machen. Wenn ich aber schon für mein Gefühl zu schnell war, wie anstrengend muss es dann erst für die anderen sein, die mit mir zu tun haben?!

War das zu schnell? Ich nehme mir vor, oft an die Frage des jungen Vaters zu denken im neuen Jahr.

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