Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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03JAN2020
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„Kann etwas falsch sein, was Du für richtig hältst?“ Diese Frage hab‘ ich auf einem Werbeplakat gelesen. Und sie hat mich nachhaltig irritiert. Ich brauchte erst ein paar Augenblicke: um zu prüfen, ob ich richtig gelesen hatte, und um nicht vorschnell zuzustimmen. Dann aber war mir sofort klar: Natürlich kann etwas falsch sein, was ich für richtig halte. Ja, das kann nicht nur so sein, sondern es ist manchmal so. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr ärgert es mich, dass jemand mit dieser Frage Werbung macht. Die Frage ist ja gar keine Frage. Sie will einem schon die Antwort in den Mund legen. Und bedient sich dabei einer Einstellung, die immer mehr um sich greift. Sie ist in ihrem Kern höchst egoistisch, und deshalb gefährlich. Diese Frage, die keine ist, will mir einreden: „Du hast immer Recht, wenn Du nur stark genug von etwas überzeugt bist. Lass Dich also nicht verunsichern!“ Mit dieser Einstellung macht unter anderem der aktuelle amerikanische Präsident Politik. Wie gut wäre es, wenn er und andere sich hin und wieder verunsichern ließen. Wenn sie in Betracht ziehen würden, dass womöglich die anderen richtiger liegen als sie selbst. Auch „meine“ Kirche wäre sympathischer, weil menschlicher, wenn sie sich selbstkritischer zeigen würde. Aber da tut sich eine Institution schwer, die es über Jahrhunderte hinweg gewöhnt war, dass man ihr nicht widersprochen hat. 

Wer meint, immer im Recht zu sein, wer sich für das Maß aller Dinge hält, ist gefährlich. Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe als erstes einen Stein, sagt Jesus zu denen, die sich allzu genau auf der Seite des Rechts wähnen. Es ist falsch, wenn man sich das einredet, und dabei auch noch Unterstützung aus der Werbebranche bekommt. Für ein gutes Zusammenleben in einer Gesellschaft, wo viele unterschiedliche Menschen zusammenleben sollen, ist das Gegenteil nötig. Ich muss bereit sein, meine Meinung auf den Prüfstand zu stellen. Und zwar immer und von jedermann. Ich muss mir darüber im Klaren sein, dass ich einer von vielen bin, und es einem anderen zusteht, eine völlig andere Meinung zu vertreten. In der Politik ist das besonders wichtig. Und an den vielen Orten, wo man über die Wahrheit streitet. Standpunkt gegen Standpunkt. Respekt vor der Einstellung des anderen. So funktioniert Demokratie. Und nur so werden wir einander nicht zu Feinden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30061
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