Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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02JAN2020
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Was nun: Glaube oder Unglaube? Darum geht es im Jahresmotto der Kirchen für 2020. Es heißt: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! Das hört sich aufs erste ziemlich verwirrend an. Geht das beides gleichzeitig? Ich bin ein gläubiger Mensch, auch wenn ich manchmal Zweifel habe und mir über Gott nicht so sicher bin. Das macht aus mir noch keinen Ungläubigen. Ich bin mir eben nicht jeden Tag gleich sicher, aber alles in allem, bewege ich mich auf stabilem Boden, wenn ich an Gott denke.

Das könnte der ausschlaggebende Punkt dabei sein: dass mir noch nie ganz der Boden unter den Füßen weggezogen worden ist. Am Ende, auch nach Krisen und Krankheiten, bin ich wieder auf sicherem Terrain gelandet. Und war mir gewiss: Gott lässt dich nicht fallen. Ich kann mich auf ihn verlassen.

Ganz anders bei dem, der den Satz ausgesprochen hat: Ich glaube, hilf meinem Unglauben. Er steht im Evangelium des Markus, Kapitel 9. Ein Vater sagt ihn, der wegen seinem Sohn völlig verzweifelt ist. Buchstäblich am Boden zerstört. Sein Sohn hat nämlich eine furchtbare Krankheit: Er ist, wie es in der Zeit der Bibel ausgedrückt wurde „von einem stummen Geist besessen“. Und der Vater beschreibt, was das für Konsequenzen hat, wie heftig der Junge mit körperlichen Symptomen reagiert. Das führt so weit, dass er versucht, sich das Leben zu nehmen. So geplagt ist er und ohne Macht über sich. Auf dem Hintergrund heutiger psychologischer Erkenntnisse würden wir wohl sagen: Der Sohn hat eine bipolare Störung oder er leidet unter Schizophrenie.

Jetzt kommt Jesus ins Spiel, weil der Vater ihn bittet, seinem Sohn zu helfen, Mitleid mit ihnen zu haben. Und er fügt an: Wenn du kannst. Er zieht offenbar in Betracht, dass hier selbst Jesus nichts ausrichten kann, in so einem schlimmen Fall. Nun wörtlich: Jesus sagte zu ihm: Wenn du kannst? Alles kann, wer glaubt. Da rief der Vater des Knaben: Ich glaube, hilf meinem Unglauben!

Wie es aussieht, ist der Vater ein gottesfürchtiger Mann. Er rechnet mit Gott, soweit und wo auch immer es ihm möglich ist. Aber angesichts dessen, was seinem Sohn da widerfährt, kommt auch er an seine Grenzen. Und genau die benennt er mit dem paradoxen Satz. Er kann sich Gottes nicht absolut sicher sein. Kein Mensch kann das. Was ihm bleibt, ist die inständige Bitte um Hilfe. Gott soll ihm helfen, wenn sein Glaube nicht groß genug ist. Was für ein großartiges Gebet! Bestimmt auch für viele Menschen und viele Situationen im gerade begonnenen Jahr.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30060
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