SWR1 3vor8

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22DEZ2019
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Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen. Wer heute den katholischen Gottesdienst mitfeiert, wird zweimal diesen Satz hören. Zuerst beim Propheten Jesaja im Alten Testament der Bibel, dann beim Evangelisten Matthäus im Neuen. Eine Jungfrau, die ein Kind bekommt. Dieses Bild muss sehr bekannt und beliebt gewesen sein. Es steht ganz offensichtlich dafür, dass Gott möglich macht, was uns unmöglich vorkommt. Denn: Eine Jungfrau kann kein Kind empfangen, das ist biologisch unmöglich.

Aber wer spricht denn von Biologie?! Beim Glauben an Gott geht es ja gerade nicht in erster Linie um Vorgänge, die man mit bloßem Auge beobachten oder mit einem Instrument messen könnte. Es geht um Erfahrungen, die sich in unserem Inneren abspielen, in den Tiefenschichten unserer Seele. Damit meine ich jetzt nicht bloß irgendein Gefühl. Es wäre mir auch zu wenig, wenn es sich beim Glauben bloß um eine irrationale Vermutung handeln würde oder um eine schwache Ahnung. Nein, beim Glauben geht es um ein großes Vertrauen, und dann um eine Gewissheit, die sich im Laufe der Zeit in einem Menschen aufbaut. Die mich begreifen und dann auch sagen lässt: „Gott ist da. ER tut Dinge, die ich nicht fassen kann. Er geht mit mir.“ Das heißt nicht, dass ich alles bis ins Einzelne verstehe, was mit IHM zu tun hat. Manchmal gibt Gott mir Rätsel auf. Zum Beispiel wenn ein Mensch sehr leiden muss. Aber auch in dem, was ich nicht begreife, bemerke ich IHN.

So ähnlich mag es den Menschen gegangen sein, auf die der Gedanke vom Kind und der Jungfrau zurückgeht. Sie haben erfahren, dass Gott mit seiner Schöpfung etwas Großes vorhat; dass er weder schweigt noch fertig ist. Und am Ende ist dieses Bild geblieben: Gott kommt als Kind auf die Welt. Angewiesen auf Fürsorge und Liebe. Und er kommt unerwartet. Und wo würde man ein Kind weniger erwarten als bei einer jungen Frau, die noch unberührt ist?

Ich bin mir darüber im Klaren, dass das für unsere Ohren sehr fremd klingt. Das mit der Jungfrau passt nicht in unsere Zeit, in der Sexualität eine so große Rolle spielt und alles dazu leicht und jederzeit zu sehen ist. Ohne Geheimnisse. Dann denke ich mir: Es könnte ganz gut sein, dass das irritiert, weil wir dann aufhorchen. Gott wirkt auch im Jahr 2019 auf seine Schöpfung ein. Vermutlich eher dort, wo wir es nicht so leicht sehen und erwarten. Vom Kind in der Krippe ist der Weg nicht weit zu anderen Dingen, die schwach und unscheinbar sind. Und mit Biologie und wissenschaftlichen Beweisen allein nicht zu ergründen sind.

 

 

[1] Jes 7,14 und Mt 1,23

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30000
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