Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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09DEZ2019
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Die Umwelt und das Klima retten und Abnehmen haben eines gemeinsam: Ohne Verzicht tut sich nichts. Ich fürchte, da kommt man nicht drum herum. Es soll ja angeblich Wunder-Pillen geben, durch die man Gewicht verliert und trotzdem weiteressen kann. Aber ich persönlich kenne nur Leute, die ihre Kilos verloren haben, indem sie ihr Leben geändert haben: Weniger essen und mehr Bewegung.

Ich glaube, so ist es auch mit dem Klimaschutz. Die Wundertaten der Technik und des Fortschritts werden es allein nicht richten. Wir müssen unser Leben ändern. Und ich fürchte, dazu gehört auch: Wir müssen verzichten. Wenn’s ums Verzichten geht, schreit niemand: Hier! Aber ist Verzichten wirklich so schlimm?

Bei den Mönchen gibt es die Tradition der Askese. Bisher habe ich dabei immer an hagere Menschen gedacht, die sich nur von Brot und Wasser ernähren, nichts genießen und wenig Freude im Leben haben. Aber ich habe neulich von dem Benediktinermönch Anselm Grün gelernt, dass das gar nicht stimmt1.

Anselm Grün sagt: Bei der Askese steht gar nicht der Verzicht im Vordergrund, sondern die Lust sein Leben zu gestalten. Askese meint, sein Leben im Griff zu haben, selbst zu leben anstatt von außen gelebt zu werden. Askese bedeutet: Spüren, dass man den Dingen nicht ausgeliefert ist, sondern etwas bewirken kann. Es stimmt nicht, dass ich nichts machen kann. Ich kann etwas tun. Dazu gehört auch Verzichten. Aber nicht, weil ich es muss, sondern weil ich es kann und will. Und weil ich merke: Es ist richtig und tut mir gut.

Und vielleicht lässt es sich ja auch mit etwas weniger ganz gut leben. Ein französischer Wissenschaftler hat einmal gesagt: Wenn wir nachhaltig leben würden, also so, dass wir diese Erde nicht zerstören, dann hätten wir in etwa einen Lebensstandard wie die Menschen in den 60er Jahre des 20. Jahrhunderts2.

Leben wie in den 60ern? Für mich ist das keine Vorstellung, die mir den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Damals ist man mehr zu Fuß gelaufen, hatte nur ein Auto pro Familie, ist in den Urlaub gefahren statt geflogen und hatte nicht jeden Tag ein Schnitzel auf dem Teller. Aber waren die Menschen in den 60ern deshalb unglücklicher? Ich glaube nicht. Was mir auffällt: Die Menschen in den 60ern waren viel kreativer. Gerade in der Musik gab es Vieles, was wirklich neu war. Als Gitarrist fällt mir da zuerst Jimi Hendrix ein. Er konnte seine Gitarre klingen lassen, wie niemand vor ihm und niemand nach ihm. Vielleicht weil er nicht die ganze Zeit mit Kaufen beschäftigt war.

1 Anselm Grün, Selbstwert entwickeln – Ohnmacht meistern, Spirituelle Wege zum inneren Raum
2 Serge Latouche in Kaufen für die Müllhalde (französisch-spanischer Dokumentarfilm, 2010).

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29913
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