Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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07DEZ2019
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Üsküdara heißt ein populäres türkisches Lied. Üsküdar ist ein Stadtteil von Istanbul auf der asiatischen Seite. Die Melodie ist weit über die Türkei hinaus bekannt. Vor einiger Zeit schon habe ich dieses Lied kennengelernt. Jetzt durfte ich es bei einem Konzert ansagen, und da habe ich natürlich darüber recherchiert. Ich war erstaunt, wie sich ein einfaches Lied in kurzer Zeit länder- und kulturübergreifend entwickeln kann.
Musikwissenschaftler sagen, dass das Lied im 19. Jahrhundert entstanden ist. Es soll auf eine Schulhymne an einer englischen Schule in Istanbul zurückgehen. Es gibt die Vermutung, dass schottische Soldaten die Melodie als Militärmarsch gespielt haben. Mit Schottenrock und Dudelsack sorgten sie natürlich für Aufsehen. Die Schotten waren im sogenannten Krimkrieg als militärische Unterstützung gegen Russland im damaligen Osmanischen Reich im Einsatz. Die Melodie sei bald darauf ein türkisches Volkslied geworden. Die erste Tonaufnahme stammt von 1902 von einem 12-jährigen armenischen Sänger. Der Junge lebte in Antep, einer an der Straße von Aleppo nach Armenien gelegenen Stadt. Antep beherbergte damals vor 150 Jahren zu gleichen Teilen Kurden, armenische und griechische Christen, Muslime und Juden. Sie lebten friedlich zusammen, heißt es. Soweit meine Recherche.
Heute wird in der Wiege dieses Liedes, wegen machtpolitischer Bestrebungen, Blut vergossen. Ethnische und religiöse Trennungen werden vorgenommen. Ich möchte an die traditionell musikalischen Zentren erinnern: Antep in der Türkei und Aleppo in Syrien, heute in Schutt und Asche. Das Lied Üsküdara transportiert für mich dabei eine Botschaft. Es ist für mich ein wunderschönes Beispiel, wie das Zusammentreffen von verschiedenen Kulturen, in diesem Fall schottisch, türkisch und armenisch eine Melodie hervorbringen kann, die zum Weltkulturgut wird und heute in unzähligen Sprachen beheimatet ist. Die Melodie erklingt heute nicht nur als Begleitmusik zu einem türkischen Hüfttanz, sondern wird weltweit bei Hochzeiten und anderen Festen gespielt. In Deutschland gibt es seit vielen Jahren „Die Klingende Brücke“, eine Singbewegung. „Üsküdara“ ist eines der europäischen Lieder im Repertoire. Der Text ist nur eine unspektakuläre Liebesgeschichte zwischen einer Frau und einem Mann. Hindernisse, Sehnsucht und Erfüllung. Aber genau das vereint Menschen über religiöse, ethnische und nationale Grenzen hinweg.

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