Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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06DEZ2019
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Den Nikolaus gab es wirklich. Vor 1700 Jahren. Es war die Zeit der konstantinischen Wende. Das Christentum war damals eine noch sehr junge Religion. Nikolaus war da ungefähr dreißig Jahre alt. Der römische Kaiser Konstantin hat den Christen erlaubt, ihre Feste und Gottesdienste öffentlich zu feiern. Davor waren sie unterdrückt. Jesu Botschaft war bis dahin den Mächtigen suspekt. Nächstenliebe passte nicht in eine Welt, in der ein paar Wenige reich und die Meisten arm oder versklavt waren. Schon erstaunlich: Die neue Freiheit hat dafür gesorgt, dass sich die Lehre des Jesus von Nazareth rasant verbreitet hat. Nikolaus wurde in dieser Wende-Zeit zum Bischof gewählt. Wahrscheinlich war er ein kluger Kopf, ein beispielhafter Christ und eine anerkannte, wohlhabende Persönlichkeit. „Niklaus ist ein guter Mann, dem man nicht g’nug danken kann“ heißt es in einem Kinderlied. Aber dieses Bild des netten, großzügigen Bischofs, greift meiner Meinung nach zu kurz. In der jungen christlichen Gesellschaft gab es noch einiges zu klären, theologisch, politisch und sozial. Nikolaus hat sich eingemischt: Er nahm als Bischof teil an den ersten offiziellen Zusammenkünften der Christen, den Konzilen. Die versuchten zu klären, was zum Glauben gehört und was nicht. Nikolaus hat sich wahrscheinlich auch wirtschaftspolitisch engagiert, denn Wundergeschichten erzählen, dass er Hungersnöte abgewendet hat. Er muss sozialpolitisch aktiv gewesen sein, denn viele Legenden erzählen davon, dass er armen Kindern geholfen hat. Dass er dafür gesorgt hat, dass sie eine Ausbildung bekommen. Nikolaus hat nicht nur Almosen verteilt, sondern Armut und Kriminalität auch strukturell bekämpft. So deute ich die Legende, dass er einem armen Mann für seine drei Töchter Geld gegeben haben soll, damit sie heiraten konnten. In dieselbe Richtung gehen Wundergeschichten, dass er ermordete Jungs wieder zum Leben erweckt oder unschuldig Verurteilte gerettet haben soll.
Kein Wunder ist der Heilige Nikolaus einer der bekanntesten Heiligen. In mittelalterlichen Klosterschulen gab es den Brauch, dass die Kinder am Nikolaustag einen „Kinderbischof“ wählten. Der verteilte dann Geld- und Sachspenden an Bedürftige. Kleine Theaterstücke wurden öffentlich aufgeführt, um christliche Werte in der Bevölkerung bekannt zu machen. Es gab damals nämlich noch keine Schulpflicht. Die meisten Leute konnten weder lesen noch schreiben. Der gewählte kleine Bischof Nikolaus durfte nach dem Prinzip der „verkehrten Welt“ das Verhalten der Erwachsenen tadeln und sie daran erinnern, was es heißt, gute Christen zu sein.

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