SWR2 Wort zum Tag

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25NOV2019
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Ich trainiere gerade für einen Halbmarathon. Eine Freundin hat mich für den Lauf angemeldet, ohne vorher mit mir zu sprechen. Sie meint, wir bräuchten mal eine sportliche Herausforderung.

Normalerweise treffen wir uns einmal die Woche, so 6-7 Kilometer zusammen zu joggen.

Aber 21 Kilometer? Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ich das schaffen soll. Aber meine Freundin hat in einem Punkt recht: Wir bewegen uns bisher immer nur in einem Radius, den wir gewohnt sind. Der uns nicht mehr viel abverlangt. Außer, dass wir uns aufraffen, loszulaufen.

Also habe ich beschlossen, das Beste draus zu machen und das Halbmarathon-Training auf eine ganz bestimmte Art anzugehen: Ich will versuchen das Laufen nicht als Pflichtprogramm zu sehen. Sondern ich möchte offen sein für das, was mit mir bei diesem Training passiert.

Normalerweise dröhne ich mich beim Laufen mit Musik zu, um mich anzutreiben. Das lasse ich mal weg.

Vielleicht lerne ich dabei, mehr auf meinen Körper zu hören – es geht nicht darum, mich an meine Grenzen zu bringen, sondern in Einklang mit mir und meinem Körper so weit zu kommen, wie ich kann – ohne ihm zu schaden.

Ich muss zum Beispiel lernen, langsam zu laufen. Den Fuß richtig aufzusetzen, damit er nicht schmerzt. Und vielleicht schaffe ich es, meine Gedanken frei zu lassen - vielleicht sogar mit Gott zu sprechen.

Ich muss mich beim Laufen sehr stark mit mir selbst auseinandersetzen. Wie reagiere ich auf unterschiedliches Tempo, unterschiedliche Außentemperaturen? Wie sehr spielt das, was ich an einem Tag erlebt habe, mit in meinen Lauf rein?

Auch wenn ich noch ganz am Anfang meiner Übung bin – ich merke, es tut mir gut. Ich mache nicht einfach nur Sport, sondern ich bemerke eine spirituelle Seite im Laufen. Ich merke, wie mein gleichmäßiger Laufschritt mir einen Rhythmus vorgibt, der sich verselbstständigt und wie eine Mediation meine Gedanken frei lassen kann.

Ich nehme mir Zeit, zu laufen – dafür breche ich schon die gewohnten Strukturen meines Tages auf. Und ich stoße immer wieder an meine Grenzen. Ich lerne, die Grenzen zu akzeptieren und bis zu einem bestimmten Punkt zu überschreiten. Und innerhalb dieser Grenzen kann ich dann auch erkennen: da ist etwas Größeres, als mein kleines Leben, als mein Laufen. Ich laufe auf ein Ziel hin, dieses Ziel ist ungewiss aber ich weiß, irgendwann komme ich an…

Nach meinem ersten Schock, auf einen Halbmarathon trainieren zu müssen, bin ich jetzt ganz gelassen geworden. Ich laufe – ich breche ab – aber ich fange immer wieder an und es geht mir nicht darum, ob ich es schaffe. Sondern dass ich es versuche.

Was für mich das Laufen ist, ist für andere Singen oder Malen oder Lesen oder etwas ganz anderes. Es gibt bestimmte Hobbys und Erfahrungen im Alltag, die voller spiritueller Tiefe sind. Mich beeindruckt das immer wieder, dass ich gerade in den Situationen, wo ich es am wenigsten erwartet habe, das Gefühl von Gott und Weite erfahre.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29825
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