SWR1 Begegnungen

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24NOV2019
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...…gegen die Ungleichheit Andreas Pitz

Peter Annweiler trifft Andreas Pitz, Kurator der Ausstellung Kunst trotzT Ausgrenzung

In der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Osthofen sind wir verabredet - ein beklemmender Ort für ein erstes Treffen. Doch ich bin auch gespannt auf den 59jährigen Rheinhessen, der dort und in Worms für die Diakonie Deutschland eine Ausstellung kuratiert hat: „Kunst trotzt Ausgrenzung“ ist eine künstlerische Absage an Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus. Und dafür ist die Gedenkstätte ein kraftvoller Ort: Hier waren Menschen im Dritten Reich zusammengepfercht – und hier machen Künstler heute Menschen am Rand sichtbar. Andreas Pitz schärft mir bei unserem Rundgang die Augen dafür.

Das sind die Stickereien von Sybille Löw: Sie hat Portraits von Menschen gestickt, die aus unterschiedlichsten Gründen ihre Heimat verlassen haben – freiwillig, unfreiwillig, Das Ganze hat sie Einwanderung genannt – und von der Vorderseite sieht man einfach 60 Gesichter – und dann, oft im Stirnbereich, sind so rote Fäden zu sehen. Man weiß gar nicht, was soll das: Sind das Narben oder Falten?

Gestickte Portraits? Narben oder Falten?- Kunst muss irritieren, Fragen aufwerfen, die gewohnte Sicht durchbrechen. Nur so kann sie aufrütteln, verändern und warnen. Und das ist für den Protestanten mit der künstlerischen Ader heute bitter nötig.

Wir befassen uns nicht nur mit Migration und Flucht, sondern wir befassen uns mit all den Themen, die im Augenblick wieder von der neuen Rechten in Frage gestellt werden: Wie gehen wir mit Menschen am Rande um, mit Obdachlosen, mit Behinderten, mit Menschen, die ne andere sexuelle Prägung haben.

Rechtsextreme Parolen sind in unserem Land leider nichts Neues. Umso wichtiger, dass die Ausstellung zeigt, wie wir etwa Geflüchteten anders als mit Abwehr oder Mitleid begegnen können. Zum Beispiel in dem großen Werk von Georg Friedrich Wolf:

Der hat mit 70 Flüchtlingen dreieinhalbtausend Nägel geschmiedet, zwanzig Zentimeter lange riesige Nägel und dann haben sie mit alten Balken aus einer Hugenottenscheune - also auch Menschen, die vor Jahrhunderten schon fliehen mussten – ein riesiges Floß zusammengezimmert. Und das Ganze hat er „Odyssee“ genannt – und das steht jetzt im Augenblick direkt vor dem Wormser Dom.

Da zeigt ein Künstler mitten in der Stadt eine Irrfahrt mit einem Floß. Nicht nur für Geflüchtete ist das ein starkes Bild. Ich finde, es ist ein Sinnbild für unseren Planeten: Zerbrechlich ist er. Die Steuerungsmöglichkeiten sind begrenzt. Und gerade auf einem Floß gilt: Alle müssen zusammenhalten und sind gleichwertig. Andreas Pitz:

Ich bin sehr froh, dass Kirche und Diakonie „Flagge zeigen“, Stellung beziehen – das ist nicht selbstverständlich.

Wenn ich sehe, wie Rechtspopulisten versuchen, neue Grenzen zwischen „uns“ und den „Anderen“ zu ziehen, dann tut es mir gut, wenn meine Kirche nicht nur mit Worten, sondern auch mit Kunstwerken Flagge für eine Überzeugung zeigt: Menschen sind und bleiben gleichwertig.

Mit Kunst Flagge zeigen
und mit kreativem Trotz

Andreas Pitz hat für die Diakonie Deutschland Werke von mehr als 50 Künstlern zusammengetragen. Zur Zeit ist die Ausstellung „Kunst trotzt Ausgrenzung“ in Worms und der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Osthofen zu sehen. Dort treffe ich mich mit dem 59jährigen gelernten Sozialarbeiter – und staune über seinen Weg:

Ich hab das immer sehr bedauert, dass ich mein Interesse für die Kunst mit meinem Berufsalltag überhaupt nicht unter einen Hut bringen kann – und nachdem ich zwanzig Jahre lang die Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe der Diakonie in Mainz verantwortet hatte, habe ich aus unterschiedlichsten Gründen beschlossen, mal was ganz Neues zu machen

Und das Neue hat dann mit einem Buch über die bisherige Arbeit begonnen. Aber irgendwie ging das zuerst nicht so recht voran.

Es hat überhaupt keinen Sinn, fünfzig traurige Biographien von Obdachlosen aneinander zu reihen. Nach der dritten Seite schlägt jeder das Buch wieder zu. Und da hatte ich die Idee, zu gucken: Wie haben eigentlich Künstlerinnen und Künstler sich diesem Thema genähert. Und ich war bass erstaunt, wie viele renommierte Kunstschaffende sich mit solchen Themen befasst hatten,

Bei seinen Ausstellungen kommt dann stets der Trotz im Titel vor: „Kunst trotzt Armut“ und „Kunst trotzt Demenz“ hießen frühere Projekte. Als Typ wirkt Andreas Pitz auf mich allerdings eher weniger trotzig. Er kommt bedacht, umgänglich und freundlich „rüber“. Deshalb bin ich mir sicher: Er hat den Wert von „Trotz“ eher von „seiner Sache“ - also von der Kunst her – gelernt.

Also mich haben solche Künstler wie Beuys schon immer ungeheuer fasziniert, die einfach mit ihrer Kunst wirklich auch gesellschaftliche Missstände versucht haben, sichtbar zu machen – und die sich eingemischt haben mit ihrer Kunst.

Wenn einer mit Straffälligen und Obdachlosen arbeitet und sich für zeitgenössische Kunst interessiert, kann das schnell aus der Komfortzone führen.

Ich hab mich immer versucht zu engagieren und das durchaus trotzig und für die Rechte der Benachteiligten versucht einzusetzen. Insofern zieht sich das wie ein roter Faden durch mein Berufsleben, aber auch durch meinen Alltag: Dinge zu hinterfragen, die von allen anderen als vollkommen normal oder selbstverständlich hingenommen werden.

Trotz war für mich bisher keine positive Haltung. So leicht kann er stur und starr daherkommen. Am Ende unseres Rundgangs hat mir Andreas Pitz beim gemeinsamen Blick auf die Kunst gezeigt: Trotz gibt auch Kraft und einen langen Atem. Sowohl die Kunst als auch die Religion sind für mich darin verwandt, dass sie uns ein „Trotzdem“ schenken: Die Kraft zum Widerspruch und die Phantasie wie es anders sein kann.

Die Ausstellung „Kunst trotz(t) Ausgrenzung“ ist bis 15. Dezember 2019 in Worms und Osthofen zu sehen. Mehr Informationen unter:

www.kunst-trotzt-ausgrenzung.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29817
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