Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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21NOV2019
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Ja, es gibt sie noch, die großen Lieben, die ein Leben lang halten. Trotz aller Beziehungskrisen und Scheidungsraten. Aber sie werden halt nicht so an die große Glocke gehängt und wenn, dann gleich so hoch auf den Sockel gestellt, dass sie so einmalig wie unerreichbar scheinen.

Darum hat es mich gefreut und auch berührt, als ich in einer Radiosendung eine ganz wunderbare, so beiläufige wie schöne Liebeserklärung gehört habe. Der Künstler Christo, der in Deutschland vor allem durch die Verhüllung des Reichstages bekannt wurde – hat in einem Interview immer wieder von seiner Frau gesprochen. Das ist ja erst einmal nichts Ungewöhnliches. Er hat aber immer im Präsens, in der Gegenwartsform von ihr gesprochen, was auch noch nichts Ungewöhnliches wäre, wenn sie nicht tot wäre.

Christos Frau Jeanne-Claude ist im November 2009 gestorben. Und ihr Mann spricht von ihr, als sei sie noch da. Er spricht von Projekten die sie noch machen, er redet von „wir", wo doch nur noch er am Leben ist.

Man könnte jetzt natürlich sagen, dass er es noch nicht verinnerlicht habe, dass seine Frau nicht mehr lebt, oder dass er es einfach nicht wahrhaben wolle. Aber wenn man weiß, dass Christo und Jeanne-Claude im selben Jahr und am selben Tag geboren wurden, dass sie wegen ihrer Liebe lange in Armut leben mussten, dass sie 47 Jahre verheiratet waren und fast alles gemeinsam gemacht haben, in der Kunst wie im restlichen Leben, dann versteht man, dass der Tod dieses Paar nicht trennen kann.

Und vielleicht passt das ja auch zu ihrer Art von Kunst. Nicht nur, weil sie jahrzehntelang all ihre Kunstwerke gemeinsam geplant, finanziert und durchgeführt haben. Sondern weil der Kern ihrer Kunst das Enthüllen durch die Verhüllung war. Dadurch, dass sie Gegenstände, Teile der Natur oder Bauwerke eine Zeitlang verhüllt haben, wollten sie auf den inneren Wert von Dingen, Bauwerken und der Natur hinweisen. – Vielleicht ist der Tod ja auch nur eine Verhüllung, die uns das so intensiv enthüllt, was uns über ihn hinaus verbindet: die Liebe.

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