Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

18NOV2019
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Rund 900.000 Menschen sterben in Deutschland pro Jahr. Aber irgendwie kriegt man das gar nicht mit. Wenn man nicht im Krankenhaus, im Altenpflegeheim, beim Friedhof oder als Bestatter arbeitet. Und irgendwie kriegt man auch die Trauer der Angehörigen nicht mit. Bei 900.000 Verstorbenen im Jahr müssten doch auch mindestens 900.000 Menschen trauern. Wenn nicht mehr! Aber man sieht sie nicht. An der Kleidung zum Beispiel erkennt man die Trauer so gut wie nicht mehr. Nur noch selten werden schwarze Kleider als äußere Zeichen der Trauer getragen. Und man spürt die Trauer auch oft nicht. Weil viele Menschen nicht trauern können. Weil sie sich keine Zeit dafür nehmen können oder wollen. Und manche trauen sich nicht zu trauern, weil es zu weh tut oder weil andere nicht damit zurechtkommen.

Unsere Seele braucht aber die Trauer, damit wir den Menschen, den wir loslassen müssen, auch wirklich gehen lassen können. Und das braucht Zeit. Zeit zum Weinen, zum Lachen, zum Erinnern und auch zum zwischenzeitlichen Vergessen. Denn man kann und darf auch nicht dauernd trauern. Sonst wird man chronisch traurig.
Darum ist es auch gut, sich den eigenen Gefühlen zu überlassen und nicht den Vorstellungen, Erwartungen oder den Ängsten anderer Menschen. Wenn die Traurigkeit kommt, sie kommen lassen. Und wenn sie geht, sie gehen lassen. Trauer ist wie das Meer. Sie kommt in Wellen. Am Anfang eine riesige Welle, die einen mit Wucht umwerfen kann. Manchmal kommt sie von ganz unerwarteter Seite und dann ist sie auf einmal weg, Windstille als ob nichts gewesen wäre. Und dann irgendwann werden die Wellen weniger und kleiner. Aber selbst wenn man meint, dass man nun endgültig in ruhigen Gewässern ist, kann nochmal eine Welle kommen. Das ist normal, das gehört dazu, wenn man liebt. So ist die Trauer. Wie das Meer.

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