SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

20OKT2019
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Peter Annweiler trifft Esther Graf, Judaistin und Kunsthistorikerin aus Mannheim

Als Jüdin auf Augenhöhe mit anderen Religionen
Das Herz der 49jährigen Mannheimerin schlägt für die Begegnung der Religionen. Als promovierte Judaistin und Kunsthistorikerin hat sie gelernt, ihren jüdischen Glauben tiefer zu verstehen – und ihn in den Dialog der Religionen zu bringen.
Gerade nach dem Anschlag von Halle interessiert mich, was sie in unserem Land als Jüdin erlebt: Mitleid und Bewunderung hat sie kennen gelernt.

Zweierlei Reaktionen sind mir recht häufig begegnet: Das eine war, dass Leute sagen: „Ach Gott, das tut mir Leid!“, weil sie wahrscheinlich eben nur die Shoa im Kopf haben und diese ganze Opferrolle, die man dann hat: „Wie schrecklich, dass man jüdisch leben muss!“ Und zum anderen die Reaktion: „Ach, das ist aber toll!“

Wie ein rohes Ei behandelt werden – das mag die Mutter zweiter Töchter gar nicht.

Das ist ein bisschen schwierig, wenn man solche Reaktionen zu hören bekommt, weil es ist weder wahnsinnig tragisch – es ist wie es ist – und es ist zum anderen auch gar nicht so toll, sondern das ist die Identität, die man zum einen von den Eltern mitbekommen hat und zum anderen die, die man sich selber geformt hat.

Da wünscht sich eine Begegnungen auf Augenhöhe – und muss manchmal erfahren, wie wackelig diese Augenhöhe in Deutschland ist. Wie gut, dass mir in Esther Graf eine Frau begegnet, die offen und ehrlich ausspricht, was sie im Alltag umtreibt.

Ich persönlich habe Gott sei Dank in den letzten Jahren überhaupt keine negativen Erfahrungen gemacht. Aber wo ich es schon merke, dass es mich betrifft und betroffen macht, ist, dass ich mir schon sehr wohl überlege, wenn ich meinen Davidstern tragen will: „Mache ich das oder mache ich es nicht?“ Dass ich mir sehr wohl überlege, ob ich in der S-Bahn meine „Jüdische Allgemeine Wochenzeitung“ öffentlich aufschlage oder nicht.
Und das ist etwas, wo ich mir schon immer wieder denke: „Das kann doch nicht sein, dass ich zwar immer sage: ‚ O, ich erlebe keinen Antisemitismus, wie schön!. Aber andererseits bei so stinknormalen alltäglichen Dingen eingeschüchtert bin, dass ich mir überlege: ‚Mache ich sie oder nicht?’

Jetzt, nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle kann ich noch besser verstehen, wie zentral es für Esther Graf ist, zuerst das Herz jüdischer Religion und Kultur stark zu machen: Etwa die Wohltat des Sabbats, die Traditionen der Befreiung oder den Humor. Judentum ist etwas ganz anderes als Opfer sein!
Auf dieser Grundlage hat die gebürtige Wienerin zusammen mit einer Partnerin schon 2008 eine „Agentur für jüdische Kultur“ gegründet.

Ausschlaggebend war damals, dass wir gesagt haben: Wir wollen Judentum positiv vermitteln - und heute stellt es sich so dar, dass wir Vorträge machen zu jüdischen Themen der Kultur, Geschichte und Religion. Dass wir Ausstellungen kuratieren.

In unserem Gespräch und mit ihrer Arbeit überzeugt sie mich neu: Augenhöhe wächst dort am besten, wo wir mehr von einander wissen und echte Begegnungen haben.

Trialog der abrahamischen Religionen (Jüd*innen Christ*innen und Muslime im Trialog)

Esther Graf mag keine Klischées. Wenn es um Religion geht, ist es ihr wichtig, die Vielfalt wahrzunehmen: In der eigenen jüdischen Religion genauso wie bei den anderen. Deshalb hat die 49jährige Mannheimerin eine eigene Agentur für jüdische Kultur gegründet. Außerdem ist sie im Vorstand der jüdischen Gemeinde Mannheim aktiv und sie engagiert sich in der Begegnung zwischen Juden, Christen und Muslimen.

Ganz am Anfang des Trialogs war es so, dass ich auch so ein sehr unreflektiertes Bild von Musliminnen und Muslimen im Kopf hatte : Die mit Kopftuch – das sind die, die ganz religiös sind – und dann gibt’s auch andere. Ich habe dann sehr schnell gemerkt, dass es alle Schattierungen - schwarz, weiß , grau - genauso gibt wie bei uns und dass Frauen, die Kopftuch tragen, nicht alle gleich sind.

Es ist so einfach, aber doch so schwierig: Die anderen in ihrer Vielfalt wahr zu nehmen – und nicht alle in einen Topf zu werfen. Esther Graf erinnert mich daran,

dass immer wieder Leute denken, egal welchen Alters: Juden sind alle sehr fromm, sie essen alle koscher – und wir halten all streng den Schabbat. Das ist so, wie wenn ich sagen würde: Und ihr Christen, ihr geht alle sonntags in die Kirche, ihr haltet die Adventszeit, die Fastenzeit, zwischen Aschermittwoch und Ostern ist euch heilig .

Klar, als Christ lege ich wert darauf, mit meiner protestantischen Prägung wahr genommen zu werden. Aber bei Juden und Muslimen wäre es mir lieber, sie wären alle gleich. Vor allem, wenn es um negative Vorurteile geht, macht mir ein Jesuswort klar, wie wenig ich manchmal von der Welt sehe: „ Was siehst du den Splitter im Auge des anderen, aber den Balken im eigenen Auge – den siehst Du nicht?“

In der Begegnung mit Esther Graf merke ich wieder einmal, wie gut es ist, über den eigenen Kirchturm hinauszuschauen – und in unseren Städten auch die Synagoge und die Moschee wahrzunehmen. Und dabei spüre ich oft: Uns verbindet viel mehr als ich gedacht habe. Esther Graf:

Ich denk, es ist ganz wichtig, dass wir das Miteinander pflegen und dass wir auch mal zeigen können: Juden und Muslime hassen sich nicht alle, sondern wir können superfriedlich auf nem Podium sitzen, uns gut verstehen, auch Gemeinsamkeiten herausstreichen – von dem her muss es diesen Strang des abrahamischen Trialogs auf jeden Fall weiter geben.

In den drei Weltreligionen gibt es noch genug Konfliktpotenzial. Unterschiede will ich nicht „wegkuscheln“. Aber Hass und rechter Terror sind jetzt so bedrohlich, dass alle drei in ihrem menschenfreundlichen Kern getroffen sind. Für mich ist es deshalb ein gutes Zeichen, wenn auf den Synagogenanschlag von Halle Kirchen und Moscheegemeinden gemeinsam ihre Solidarität im Gebet zeigen. So kann in unserem Land hoffentlich das erhalten bleiben, was für Esther Graf Frucht ihrer Arbeit ist.

Ich hab schon die letzten zwanzig Jahre beobachtet, dass sich viel verändert hat. Dass sich die Fragen der Menschen verändert haben, dass sie viel mehr über Judentum wissen als früher. Das ist sehr positiv, dass hier wirklich etwas passiert ist.

Mehr Informationen zu Esther Grafs Agentur:
www.juedische-kultur.eu

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29606
weiterlesen...