Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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15OKT2019
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„Oma stirbt bald!“ Mein Enkel hat mich neulich daran erinnert. Aus heiterem Himmel gewissermaßen. Wir waren auf dem Spielplatz, er war rutschen und schaukeln. Da kommt er auf einmal angelaufen, schaut mich prüfend an und dann kam es: „Oma stirbt bald. Oma ist alt!“ Mein Sohn hat mich dann aufgeklärt. Aus dem Kindergarten hat der Kleine das Thema Sterben mitgebracht. Alle Menschen müssen sterben und sind dann nicht mehr da, haben sie dort gesagt. Da hat er sich Sorgen gemacht um seine Eltern. „Stirbst du auch, Papa?“ hat er ganz ängstlich gefragt. Und der Papa hat geantwortet: „Nein, ich sterbe nicht. Alte Leute sterben.“ Das war dem Jungen wohl auf dem Spielplatz wieder eingefallen und auf einmal war ihm klar: „Oma stirbt bald!“

Für ihn war das offensichtlich beruhigend. So musste er doch keine Angst haben um Mama und Papa. Das fand nun wieder ich gut und überhaupt finde ich es gut, ab und zu daran zu denken: Das Leben ist nicht unendlich. „Oma stirbt bald!“ Zwar bin ich nicht ernsthaft krank, auch nicht gebrechlich. Es wird hoffentlich noch eine Weile dauern, bis es soweit ist. Aber ich bin grau geworden und älter und Oma - und der Tod kommt näher, zweifellos.

Ich finde es gut, das ab und zu in den Blick zu nehmen. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden!“ (Ps 90,2) heißt es in einem Gebet in der Bibel. Und genau das ist meine Erfahrung. Es macht einen klug, ab und zu daran zu denken, dass die Restlebenszeit kürzer wird. Das motiviert einen, zu fragen, was sollte jetzt eigentlich noch kommen und zwar möglichst bald, weil die Zeit drängt. Sich an den Tod zu erinnern kommt dem Leben zugute. Eine Nachbarin, seit knapp 2 Jahren Witwe, ist mit einem netten Witwer zusammengezogen: „Auf was sollen wir denn noch warten?“, sagt sie. Recht hat sie, finde ich. Sie ist in meinem Alter und wir haben nicht mehr unbegrenzt Zeit.

Daran zu denken, hat mich auch ermutigt, meine Vorsorgeverfügung und die Patientenverfügung zu erneuern. Das sollte man alle paar Jahre machen. Dabei habe ich dann auch gleich noch mit meinen Kindern gesprochen. Jetzt wissen sie, wie ich über das Sterben denke. Vorher haben sie es höchstens vermutet. Ich sehe dem, was kommt, deshalb gelassener entgegen. Die Kinder werden dafür sorgen, dass es mir so gut wie möglich geht. Wir haben besprochen, wie das sein könnte.

Vor allem aber: „Oma stirbt bald!“ hat mich erinnert: Jetzt will ich das Leben genießen. Mit den Enkeln auf dem Spielplatz, mit Freundinnen im Konzert, mit meiner Zeitung auf dem Balkon. Ich freue mich auf das, was noch kommt – und später kann Oma dann hoffentlich dankbar sterben.

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