Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

31AUG2019
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Ich habe mit einer Schulklasse ausprobiert, ob wir es schaffen, fünfzehn Sekunden ganz ruhig zu sein, ohne jegliches Geräusch. Zuerst war es sehr schwer. Irgendjemand räusperte sich immer oder fing an zu lachen. Dann aber ist es uns gelungen und wir haben es auf dreißig Sekunden, später auf eine Minute, am Schluss auf Wunsch der Klasse sogar auf fünf Minuten ausgedehnt.

Für die Schülerinnen und Schüler waren es ganz neue Erfahrungen. Sie berichteten begeistert davon, welche leisen Geräusche sie plötzlich von draußen hören konnten, die sonst im Lärm untergingen und nie zu hören waren.

Ich genieße die Stille. Aber in unserer Welt ist sie nicht leicht zu finden. In jedem Ein-kaufsmarkt werden wir mit Musik berieselt. Im Straßenverkehr werden PS-starken Fahrzeugen noch Lautsprecher an den Auspuff gebaut, damit der Sound der ansonsten leisen Motoren wie früher zu hören ist. Manchmal ist bei Besuchen, die ich gemacht habe, sogar der Fernseher weitergelaufen, um nichts zu verpassen. Es gibt Menschen, die fühlen sich sogar unwohl, wenn es ganz still ist. In unserer Gesellschaft sind wir Stille nicht mehr gewöhnt.

Bereits vor knapp 700 Jahren hat der Theologe Thomas von Aquin über die Stille ge-schrieben: „Stillwerden heißt:

fähig sein, sich vom Lärm der Welt zurückzuziehen;

schweigen, um Gott reden zu lassen;

fähig werden, anderen zuzuhören.“

Wie recht Thomas von Aquin hat. Immer wieder, wenn ich Menschen miteinander reden höre, fällt mir auf: Viele hören einander gar nicht zu. Sobald ihnen zu einem eben gesagten Satz eine eigene Erfahrung einfällt, geben sie diese mit großer Laut-stärke kund und unterbrechen den Redner abrupt. Keine feine Art. Es ist eine Kunst, dem anderen konzentriert zuzuhören.

Sehr wohltuend ist es, wenn ich mich nach Stunden in lauten Räumen in einen abgelegenen Raum zurückziehen kann, in dem es ganz leise ist.

In meinen Gottesdiensten finden sich immer Elemente der Stille, zu denen ich mich hinsetze. Eine Frau, das erste Mal bei uns im Gottesdienst, hat zuerst gedacht, ich würde nicht mehr weiterwissen. Aus den Gottesdiensten ihrer Glaubensgemeinschaft kannte sie das nicht. „Bei uns im Gottesdienst ist immer irgendwas los, ist ständig action. Stille gibt es da nicht.“ Sie hat die Stille schätzen gelernt. Heute tut sie ihr sehr gut und sie ist dankbar dafür. Weil wir leise Geräusche hören können, die sonst im Lärm untergehen und nie zu hören sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29262
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