Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Wie gut, dass der Strom aus der Steckdose kommt. Aber wie bitte kam er da hinein? Sanft hat mich der Radio-Wecker vorhin aus dem Schlummer geholt. Nun surrt der Rasierapparat und draußen in der Küche blubbert verheißungsvoll die Kaffeemaschine, als wäre das alles einfach selbstverständlich. Erst bei Stromausfall, wenn wir plötzlich im Dunkeln sitzen, reihenweise die Computer abstürzen, Fahrstühle stecken bleiben und die Heizung ausfällt, wird uns bewusst, dass Strom erzeugt und über weit verzweigte Verteilernetze zugeführt werden muss.

Stromausfall – ein Ernstfall für Bojan, den jungen Leitungsbau-Monteur, den ich vor kurzem kennen gelernt habe. Wenn das Handy schrillt, läuft der count down, dann geht’s um Sekunden. Während seine Kollegen in den Verteilerzentralen versuchen, Umleitungen zu schalten, fährt sein Trupp hinaus, um den Fehler einzukreisen. Mal hat der Bagger ein Kabel angeknabbert oder der Sturm einen Masten gekillt. Im Sommer der Blitz, im Winter der Schneedruck, manchmal auch mutwillige Beschädigung – das Ergebnis ist immer dasselbe: in einem ganzen Stadtteil gehen die Lichter aus. Dann waten die Monteure im Dreck eines engen Erdlochs, um die armdicken Kabel zu reparieren. Oder sie turnen wie die Artisten auf rutschigen Dächern und hohen Masten herum. Ob in Kälte oder bei Hitze, am helllichten Tag oder bei finsterer Nacht: Der Schaden muss behoben sein, aber ein bisschen dalli, wenn man bitten darf! Neben den sichtbaren Gefahren lauert in diesem Beruf stets noch jene unsichtbare, einen Stromschlag gewischt zu bekommen. Einer blanken Strippe ist leider nicht anzusehen, ob sie Spannung führt oder nicht. Viele Arbeiten aber müssen unter Spannung ausgeführt werden. „Da muss jeder Handgriff sitzen“, sagt Bojan. „Wer einmal einen Kurzschluss erlebt und dabei seine Augen verblitzt hat, wird doppelt vorsichtig“. Säße einem da nicht gleichzeitig der Uhrzeiger im Genick. Denn Stromausfall – das ist wie ein Kreislaufkollaps in dieser hoch technisierten Welt.

Mir kommt es auf zwei Dinge an:

Bojan und seine Leute dürfen stolz sein auf das, was sie arbeiten. Ohne diese Stromer käme heute früh mein Wort nicht über den Äther und wir säßen alle im Dunkeln.

Und ein zweites: Solche Arbeit verdient nicht nur ihr Geld, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung. Statt dessen wird aber auch diese hochriskante und sensible Arbeit bedrückt, an Billigfirmen vergeben, nur um die Aktienkurse der Stromkonzerne bei Laune zu halten. Umso mehr sollten wir diese Arbeit wertschätzen. Vielleicht warten wir mit Dank und Anerkennung nicht bis zum nächsten Kurzschluss.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=2925
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