Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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09AUG2019
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Auge um Auge, Zahn um Zahn. Na also. Sogar in der Bibel steht, dass ich zurückschlagen darf, wenn mich einer kränkt oder provoziert. Oder?

 

Wenn ich Kommentare in sozialen Netzwerken im Internet lese, wundere ich mich, wie schnell da Beleidigungen im Spiel sind. Irgendjemand schreibt irgendwas, der nächste fühlt sich angegriffen und legt gleich eine Schippe drauf. Und schon wird beleidigt und gepöbelt. Ohne jedes Maß. Manchmal bin ich fassungslos, wie hasserfüllt Menschen sich äußern. Dieses Maßlose mag etwas mit dem Internet zu tun haben, und damit, dass man sich dort anonym äußern kann. Aber ich denke, es hat auch grundsätzlich mit uns Menschen zu tun. Wir haben es manchmal nötig, dass wir gebremst werden, wenn wir uns aufregen.

Ich glaube, genau deswegen steht dieser Satz in der Bibel. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Das ist ein Satz gegen maßlose Vergeltung. Wenn dir einer einen Zahn ausgeschlagen hat, sollst du ihn dafür nicht umbringen. Noch heute ist das ein wichtiger Grundsatz in unserer Rechtsprechung: der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“: Das steht wirklich in der Bibel. Aber es hat nicht dazu geführt, dass tatsächlich Zähne ausgeschlagen wurden, weil es doch „Zahn um Zahn“ heißt. Es ging darum, dass der, der ein Unrecht begangen hat, eine Entschädigung anbieten muss. Weil es nicht egal ist, wenn einem Menschen Unrecht geschieht. Es soll miteinander geklärt werden, was geschehen muss, damit alle Beteiligten einigermaßen gut weiterleben können. Also: Welche Entschädigung muss ich zahlen? Was hilft dem anderen weiter?

Ich habe im Internet einen Wortwechsel gelesen, bei dem jemand beleidigt worden ist. Einfach nur, weil er eine andere Meinung geäußert hatte. Mich hat beeindruckt, wie er reagiert hat. Er hat nicht zurück-beleidigt. Aber er hat geantwortet, dass ihn das gekränkt hat, wie der andere ihn da angegangen ist. Und dass er das nicht in Ordnung findet. Weil er selbst andere Meinungen respektiert. Und der andere, der sich so im Ton vergriffen hatte? Der hat sich entschuldigt. Ich glaube, dieses Ende ist möglich geworden, weil der, der beleidigt worden ist, sich vorgenommen hat: Ich setze jetzt nicht immer noch eins drauf. Ich will, dass es, wenn möglich, für uns beide ordentlich weitergeht.

Er hat Grenzen gezogen. Dem anderen Menschen, aber auch seinem eigenen Zorn.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29177
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