SWR1 Begegnungen

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04AUG2019
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Wolfram ViertelhausBruno Sonnen trifft Wolfram Viertelhaus, ehrenamtlicher Vorsitzender des Fördervereins der Autobahn- und Radwegekirche S. Paul in Wittlich

Seit ziemlich genau zehn Jahren gibt es den Förderverein, ein Jahr nach der Gründung wurde St. Paul als Autobahnkirche eingeweiht. 44 Autobahnkirchen gibt es heute in Deutschland: Orte, die offen sind für Menschen unterwegs, die einmal beten oder zur Ruhe kommen wollen.
Doch St. Paul ist in mancherlei Hinsicht anders als andere. Die Kirche gehört einer Immobiliengesellschaft, es gibt eine feste Gottesdienstgemeinde und eben den Förderverein. Hintergrund: St. Paul gehörte früher den Steyler Missionaren. Die mussten aber ihre Wittlicher Niederlassung aufgeben.     

Und jetzt war diese wunderschöne Kirche da und wir sind ein Freundeskreis, die in den achtziger Jahren Kinder- und später Familiengottesdienste in St. Paul organisiert haben, und wir sind als Freundeskreis heute auch im Alter noch zusammen. Wir hatten, als wir anfingen keinen Masterplan, wir haben einfach gesagt, wir wollen diese wunderschöne Kirche, die wollten wir einfach erhalten, weil die für viele Menschen kirchliche Heimat ist.

Der Vorteil der Konstellation in Wittlich: Der Förderverein ist unabhängig und kann frei agieren. Der Nachteil: Er bekommt kein Geld von der Kirche, sondern muss seine Arbeit selbst finanzieren. Die Zusammenarbeit mit der Immobiliengesellschaft, die an der ehemaligen Steyler Niederlassung ein neues Wohnquartier gebaut hat, sei gut und für beide Seiten von Vorteil, sagt Viertelhaus.

Für viele Leute die da hinziehen, ist die Kirche und das was der Förderverein macht, auch ein Stück Anziehungspunkt, wir sind auch ein Stück Werbung für dieses neue Wohnquartier, sodass wir also für die Unterhaltung des Gebäudes zunächst mal nicht verantwortlich sind.

Doch auch die laufenden Kosten von etwa 1500 Euro im Monat für Hostien, Kerzen, Orgelspieler oder Energie wollen aufgebracht werden.

Und da entstanden dann ne ganze Reihe von Ideen, wie wir eben diese Kirche finanzieren, und wir haben sie dann eben ausgebaut zu einer Kulturkirche, wir haben regelmäßig diese Reihe Samstagabendgespräche. Wir haben Kino in der Kirche, Wittlich hat zurzeit kein Kino. Wir haben regelmäßig Orgelkonzerte. Unser großer Vorteil ist, dass wir Ideen, die aufkommen, sehr schnell verwirklichen können.

St. Paul liegt an der Route des Maare-Mosel-Radwegs von Daun über Wittlich nach Bernkastel, und seit 2012 ist das Gotteshaus auch Radwegekirche, eine Anerkennung, die die Evangelische Kirche verleiht. Wie viele Auto- und Radfahrer St. Paul im Jahr besuchen, ist schwer zu sagen, meint Viertelhaus, ein Anhaltspunkt sei der Kerzenverkauf. Zwischen 5000 und 6000 Kerzen würden pro Jahr verkauft, und Viertelhaus geht davon aus, dass vielleicht jeder zweite oder dritte Besucher eine Kerze anzündet.
Wichtig ist ihm, dass er hier Liturgie und  Gottesdienst freier, lebendiger gestalten kann als in einer normalen Kirche, dass er mitentscheiden kann, dass Laien zum Zug kommen. Das hat viel mit seiner Biographie zu tun, erzählt er. Aufgewachsen in einer religiös engagierten Familie, wie er betont, war er immer schon kirchlich aktiv, war Messdiener, hat gute Erinnerungen an seinen Religionsunterricht, studierte unter anderem Theologie, wurde Lehrer für Religion, Mathematik und Geschichte.

Ich habe auch einen wesentlichen Teil meiner Sozialisation in Studentengemeinden erlebt, in Bonn und Tübingen während meines Studiums, und wir haben damals, es war die 68iger Zeit, versucht, Gemeinde neu zu denken, zu demokratisieren, den Anteil der Laien an der Arbeit wesentlich zu stärken, und diese Frage, was Gemeinde eigentlich ist, hat mich sowohl theologisch immer schon interessiert wie auch in der Umsetzung. Christentum hat ganz wesentlich damit zu tun, dass man sich mit einer Gemeinschaft zusammenfindet und Glauben gemeinsam lebt, und dann hat sich plötzlich in St. Paul diese Möglichkeit aufgetan, ein Stück von dem, wovon wir in der 68iger Zeit geträumt haben, zu verwirklichen.

Wolfram Viertelhaus ist ein kritischer Geist, geprägt von der Aufbruchstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Situation der Kirche heute sieht er sehr zwiespältig.

Ich gehör zu der Generation, die erlebt hat, dass Kirche wandelbar ist. Ich hab als Messdiener noch Latein lernen müssen und hab dann erlebt, wie durch das Zweite Vaticanum die Liturgie völlig verändert wurde, wir haben in unserer Zeit in Bonn sehr viel experimentiert, halbe Nächte über Texte diskutiert, das ist etwas was man sich heute kaum noch vorstellen kann, aber ich hab halt erlebt das Kirche wirklich veränderbar ist

Doch der Aufbruch der Kirche blieb stecken, vor allem das Pontifikat von Johannes Paul II. war für ihn eine Enttäuschung, sagt er rückblickend, und die aktuelle Tendenz zu immer größeren Pfarreien widerspricht seinem Bild von Gemeinde.

Für mich ist, dass ich sonntags in St. Paul in die Kirche gehe, ne wesentliche Motivation, dass da viele meiner Freunde sind, mit denen ich auch anschließend zusammen diskutiere, wir gehen nicht nach Hause gleich, wir sprechen noch miteinander.

Bei aller Kritik an der Kirche, der christliche Glaube – und da treffen sich unsere Einstellungen - ist und bleibt für Wolfram Viertelhaus fundamental in seinem Leben:

Für mich ist das, was das Neue Testament transportiert, immer noch ganz entscheidend und für mich auch Lebenshilfe, wenn ich an die Bergpredigt denke, an die Gleichnisse und so weiter, das sind einfach unübertroffen Dinge, die mit der Person Jesu zu tun haben, die mir helfen und mich tragen, auch in der Lebensphase in der ich jetzt bin, immer häufiger bekomme ich Todesnachrichten von Freunden, auch Verwandten, Wegbegleitern in verschiedenen Lebensstadien, und ich merke, der Glaube ist etwas, was mir hilft, was mich trägt und worauf ich hoffe, dass das auch in Zukunft so bleibt.   

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29171
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