Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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29JUL2019
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Wann sind wir endlich da? Die klassische Kinderfrage auf der Urlaubsreise, oft schon nach den ersten Kilometern. Als Erwachsene fragen wir das nicht so direkt, aber den meisten von uns geht es ja genauso. Warum nehme ich denn den schnelleren Zug, die kürzere Autobahnstrecke? Natürlich, weil ich auch so schnell wie möglich am Ziel sein will.

Als mein Vater vor kurzem ins Krankenhaus musste, habe ich mich sofort auf den Weg gemacht. Ich war in Sorge und wollte natürlich schnell bei ihm sein. Einerseits. Andererseits: Als ich dann im Zug saß und mir immer mehr düstere Gedanken machte, da wäre mir plötzlich lieber gewesen, die Fahrt wäre nicht so schnell zu Ende gewesen. Und je näher ich dem Ziel kam, umso sehnlicher hab ich mir gewünscht, der Zug möge noch endlos weiterfahren. Denn dann müsste ich nicht gleich schon aussteigen, mich nicht auf den Weg ins Krankenhaus machen. Ich müsste nicht zur Intensivstation hochgehen, nicht vor der verschlossenen Tür warten. Kurz: Ich könnte diese schwer belastende Situation noch eine Weile von mir fern halten.

Der israelische Schriftsteller David Grossman hat von diesem paradoxen Wunsch einmal in einem seiner Romane erzählt. Eine Mutter, deren Sohn bei der israelischen Armee dient, flieht aus ihrem Haus. Sie hat panische Angst davor, jemand könne plötzlich klingeln und ihr die Nachricht vom Tod ihres Sohnes überbringen. Also irrt sie kreuz und quer durchs Land. Nur nicht erreichbar sein, nur nicht böse überrascht werden. So bleibt sie zwar unbehelligt, aber eben immer auch in quälender Ungewissheit über das Schicksal ihres geliebten Sohns.

Ich kann das nicht. Ich bin aus dem Zug ausgestiegen und hab mich schweren Herzens auf den Weg zum Krankenhaus gemacht. Und etwas ist mir auf diesem Weg nochmal viel bewusster geworden: Dass ich Christ bin und dass ich darauf vertraue, dass Gott solche schweren Wege mit mir geht. Zum Beispiel auch die Treppe hinauf zur Intensivstation.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29097
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