SWR1 3vor8

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28JUL2019
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Ich finde, das Vater Unser ist ein spannendes Gebet, weil es ein Gebet ist, das direkt aus dem Mund Jesu überliefert ist. Er hat dazu gesagt: „So sollt ihr beten.“ Quasi ein Gebet, das persönlich vom Chef empfohlen ist. Was mich immer wieder erstaunt: Selbst nach vielen, vielen Vater Unsern entdecke ich immer wieder was Neues darin. Ich bin gerade wieder auf etwas gestoßen.

Das Vater Unser stellt keine großen Ansprüche. Von uns Menschen wird darin kaum etwas verlangt. Das meiste soll Gott bringen: „Unser tägliches Brot gib uns heute“, heißt es. Oder „Führe uns durch die Versuchung, erlöse uns von dem Bösen“. Alles Bitten an Gott. Die einzige Aufgabe für uns heißt: „wir vergeben unseren Schuldigern“. Für mich heißt das: Fast alles kommt von Gott – wir können uns aufs Vergeben konzentrieren.

Aber so einfach ist diese Aufgabe oft gar nicht. Manchmal reicht ja eine Umarmung oder ein „Ist schon gut“. Aber meistens ist es damit nicht getan. Wenn zwischen zwei Menschen etwas Schlimmes vorgefallen ist, dann kann das Vergeben zu einer wahren Lebensaufgabe werden.

Es gibt mittlerweile eine „Forgiveness-Bewegung“. Sie schlägt zum Vergeben so etwas wie einen Vier-Punkte-Plan vor, und der geht so: Erstens: Ich muss mich dem stellen was passiert ist, den Ärger und den Schmerz ergründen. Was und wer stecken dahinter? Welche Anteile liegen bei mir und welchen bin ich einfach nur ausgeliefert?

Als zweites muss ich mich aktiv aber frei dafür entscheiden zu vergeben – das ist oft am schwierigsten, weil ich gekränkt oder verletzt worden bin, weil ich herabgesetzt oder gedemütigt wurde. Manche Menschen können gar nicht vergeben, auch das darf sein. Aber wenn ich mich dafür entschieden habe, sollte ich - drittens - dranbleiben, Schritt für Schritt den Ärger oder die Kränkung loswerden. Dabei muss ich auch einen neuen Weg finden, an den Täter zu denken ohne in die Luft zu gehen oder ohne Ängste. Und schließlich viertens: Ich darf mich über die Erleichterung freuen.

Der Erzbischof von Kapstadt, Desmond Tutu hat einmal gesagt: „Wenn du es schaffst von innen heraus zu vergeben, dann bist du nicht länger an den Täter gekettet.“ Es geht also nicht darum, eine Gräueltat zu akzeptieren oder gar abzusegnen. Es geht darum, sich selbst zu befreien und wieder handlungsfähig zu werden.

Vergeben lohnt sich. Das sagt nicht nur die Forgiveness-Bewegung, sondern das ist auch die Botschaft von Jesus. Der Rest, so heißt es im Vater Unser, kommt von Gott dazu.

 

Bibelstelle: Lk 11,1-13

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29092
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