Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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03JUL2019
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Alles wird heute fotografiert. Seit es die Telefone mit eingebautem Fotoapparat gibt, ist kein Halten mehr. Jede erdenkliche und auch unerdenkliche Situation wird abgebildet. Man spiegelt sich selbst im „Selfie“, man fotografiert Gebärende und Neugeborene, Unfälle und Unfallopfer, Kindergeburtstage, Essen und Besäufnisse, Lebende und Tote. Was ist es nur, das viele Menschen so drängt die sichtbare Wirklichkeit überall und dauernd abzubilden? Ist es ein fehlendes Gespür für das Unsichtbare? Oder ein Weniger an Tiefe, das mit einem Mehr an Oberfläche ersetzt werden soll? Oder das Bedürfnis, die scheinbar immer rasendere Zeit festhalten zu wollen? Die Vergänglichkeit durch das immer und überall existierende Bild vergessen zu machen? Ja, bis über den Tod hinaus? Wir Menschen sind Augenwesen, nicht nur, aber sehr stark. Aber je tiefer es in Gedanken oder Beziehungen geht, desto oberflächlicher und sinnloser werden Bilder. Ja irreführend oder gar anmaßend können sie werden. „Du sollst dir kein Bildnis machen“, heißt es nicht umsonst im ersten der Zehn Gebote. Kein Bildnis von Gott meinem Schöpfer, damit ich mir nicht anmaße ihn in seiner Größe und Unbeschreiblichkeit auch nur erahnen zu können.                                                                                                                    
Du sollst dir kein Bildnis machen, das gilt auch für meinen Mitmenschen, damit ich ihn nicht fixiere, festnagle auf das was er scheinbar ist. Ihn nicht festlege auf seine Stärken oder Schwächen. Du sollst dir kein Bildnis machen, das ist auch ein gutes Gebot in Partnerschaft und Ehe, damit meine Frau oder mein Mann nicht zu menschlichen Einrichtungsgegenständen meines Lebens werden.

Und damit das Geheimnis eines jeden Menschen gewahrt bleibt, seine Unverfügbarkeit, so sehr ich ihn auch kenne und liebe. Und schließlich sollst Du dir auch kein Bildnis machen von dir selbst. Damit meine ich nicht die „Selfies“, sondern dass sich jeder Mensch die Möglichkeit zugesteht, sich zu verändern und sich damit Entwicklungschancen offenhält. Denn jeder Mensch ist doch so viel mehr als sein Selbstbild. Und so viel mehr, als er zu sein scheint…

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