SWR4 Abendgedanken BW

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Manchen steckt anscheinend Weihnachten noch in den Knochen - nicht nur wegen der Pfunde, die sich angesammelt haben.
"Puh, das ist ja grade nochmal gutgegangen!", bekomme ich von einer jungen Schwester zur Antwort. Ich hatte sie gefragt, wie sie denn den Weihnachtsbesuch bei der Familie verbracht hätte.
"Na ja," sagt sie auf meinen erstaunten Blick, "das ist doch so eine Sache mit dem 'Fest des Friedens'; da nimmt man sich das ganze Jahr nicht viel Zeit füreinander und vermeidet 'schwierige Themen' (also solche, die zu Auseinandersetzungen führen könnten). Dann hat jeder an Weihnachten den Wunsch, friedlich 'in Familie zu machen'. Manchmal habe ich das Gefühl gehabt, vor lauter Harmonie auf einem Pulverfass zu sitzen."
Ich hab' mich gleich ein wenig ertappt gefühlt, ich bin selber so ein "Harmoniker" und habe nichts lieber als ein "harmonisches Miteinander". Ich hab' mich allerdings im Verdacht, das soll nach dem Motto geschehen: "Wenn nur alle so wären, wie ich sein sollte!" ...
Und dann denke ich auch: Es müssen ja nun wirklich nicht immer alle unterschiedlichen Auffassungen erst ausgeräumt werden, bevor man dann gemütlich beieinander sein kann. Dass man unterschiedlicher politischer Meinung ist, ist doch längst bekannt und dass man sich trotzdem mögen kann, ist auch längst bewiesen.
Ich bin dabei an die Fabel vom Zankapfel erinnert:
"Als Herakles einst durch eine Bergenge schritt, lag dort etwas, was wie ein Apfel aussah. Er versuchte es zu zertreten. Als er aber sah, dass es sich verdoppelte, trat er stärker darauf und traf es mit seiner Keule. Da blähte es sich zu etwas ganz Großem auf und versperrte ihm den Weg. Nun warf er die Keule fort und blieb verwundert stehen. Da erschien Athene und sagte zu ihm: "Lass ab! Was du siehst, ist Zanksucht und Streit. Wenn man es unangefochten lässt, bleibt es, wie es von Anfang an war. Wenn man es aber aufnimmt, schwillt es so auf.""
Die Erfahrung aus dieser Fabel gilt gewiss für die "alten Hüte", die ich bei Streit in der Familie gern herausziehe: "So warst du schon immer ... - ... wie deine Mutter ... Du immer mit deiner konservativen Einstellung". So wird nichts gelöst und alter Streit wird größer.Das ist in keiner Weise hilfreich.
Das geht allerdings nicht immer: Manchmal spreche ich aus lauter Harmoniesucht ein Problem nicht an. Dann wird nichts gelöst, sondern es fault unter der Harmonieoberfläche weiter, und wird zum faulen Zankapfel.
Dann wäre Weihnachten als 'Fest der Liebe und des Friedens' nicht die Feier der "Harmonie um jeden Preis". Schon eher das Fest, zu unterscheiden, was dem friedlichen Miteinander jeweils mehr dient: Den 'Zankapfel' mal liegen lassen oder ein klärendes Gespräch. ...
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2889
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