Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05JUN2019
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Die folgende Szene hat mich sehr berührt. Weil das Leben so schön sein kann. Und alles bereit hält, um glücklich zu sein.

Ich sitze in einem Café und schaue auf das Ufer des Neckars. Mir fällt ein Mädchen ins Auge, drei oder vier Jahre alt wird sie sein. Dahinter ein Mann, vermutlich ihr Vater. Immer wieder lehnt sich das Mädchen nach vorne, Richtung Ufer. Sie will das Wasser sehen, das tiefer gelegen einen Meter entfernt von ihr ist. Für mich sieht das ziemlich gefährlich aus, obwohl sie an der Hüfte vom Arm des Mannes gehalten wird. Immer und immer wieder lehnt sie sich nach vorne und springt dann wieder zurück in Sicherheit. Die Kleine lacht fröhlich dabei. Beim vierten oder fünften Mal neigt sie sich noch weiter über das Wasser als zuvor. Der Mann muss, um sie festzuhalten, seinen Arm so weit es geht ausstrecken. Dieses Mal lacht das Mädchen nicht. Ist sie überrascht, unsicher wegen ihrer Waghalsigkeit? Obwohl kein echtes Risiko besteht, spürt sie wohl ihren Übermut. Jetzt wirft sie sich an die Brust des Mannes, hebt die Arme und umklammert seinen Hals, zieht seinen Kopf herunter und umarmt ihn innig. Und erst dann lacht sie wieder, wo die Arme des Vaters sie umhüllen wie ein schützender Mantel. Das Mädchen war sich sicher: Ich bin geborgen, habe ein Zuhause in dieser Welt. So jedenfalls sah es für mich aus.

Leider sieht man so eine körperliche Berührung selten in aller Öffentlichkeit. Vielleicht überhaupt nur zwischen Eltern und ihren kleinen Kindern. Es gibt sie nur, solange das Vertrauen ungebrochen ist, solange man sich des anderen völlig sicher ist. Ich habe mich gefragt, wie lange das bei Tochter und Vater noch so sein wird. Und wann so eine Berührung ihre Arglosigkeit verliert. Ich habe mich auch gefragt, wann das bei mir so war, und ich konnte mich nicht erinnern. Wahrscheinlich war ich zu klein. Aber ich bin mir sicher, dass es sie gegeben hat. Und dass sie später ersetzt worden ist: durch Worte und Gesten, die gezähmt waren.

Die Vertrautheit des Mädchens mit ihrem Vater war schön. Besonders schön war zu sehen, wie so ein Vertrauen glücklich und froh macht. Und ich weiß auch: So ein Vertrauen ist die Voraussetzung, um glauben zu können, an Gott, der einen nie fallen lässt.

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