Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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27MAI2019
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Ich glaube, ich bin etwas Besonderes. Und ich glaube, ich bin nichts Besonderes. Beides zugleich.
Es gibt Momente, in denen fühle ich mich ganz klein. Zum Beispiel, wenn ich nachts mit dem Teleskop zum Himmel schaue und über die unzähligen Sterne staune. Dann frage ich mich: Wer bin ich kleiner Mensch angesichts des Universums? Ich bin ein winziger Teil der Natur. Eingebettet in etwas unendlich viel Größeres.

Aber es gibt auch andere Momente: In denen fühle ich mich groß und wichtig. Wenn mir etwas Besonderes gelungen ist, zum Beispiel. Oder wenn mir jemand sagt: „Für mich bist du etwas Besonderes!“

Rabbi Bunam, ein jüdischer Gelehrter, hat seinen Schülern geraten: „Jeder von euch muss zwei Taschen in seiner Jacke haben, um bei Bedarf in die eine oder in die andere greifen zu können. In der einen Tasche liegt ein Zettel, auf dem steht: ‚Das Universum ist um deinetwillen geschaffen.’ Auf dem Zettel in der anderen Tasche steht: ‚Du bist Staub und Asche!‘“

Zwei Zettel also, nicht nur einer. Rabbi Bunam ist wohl davon ausgegangen, dass manche Leute nur einen der beiden Zettel haben. Manche lesen immer nur: „Das Universum ist um deinetwillen geschaffen“. Sie halten sich für das Maß aller Dinge. Als ob es niemand sonst gäbe. Andere dagegen haben nur den zweiten Satz im Kopf: „Du bist Staub und Asche!“ Das ermutigt einen nicht gerade dazu, fröhlich und voller Gottvertrauen zu leben und sich für die Zukunft der Welt einzusetzen.

Ich möchte beide Zettel bei mir tragen.
Wenn ich mich viel zu wichtig nehme, dann will ich mir vor Augen halten: „Du bist Staub und Asche!“ Den Satz hat der Rabbi in der Bibel gefunden. Er erinnert mich daran, dass ich ein begrenztes Lebewesen bin, das nur einige Jahre oder Jahrzehnte lebt. Und dass ich eine von vielen bin.

Wenn ich aber klein von mir denke, wenn ich mich ohnmächtig fühle, dann will ich nach dem anderen Zettel greifen und lesen: ‚Das Universum ist um deinetwillen geschaffen.’ Okay, das ist ein bisschen vollmundig. Mir würde schon reichen, wenn auf dem Zettel steht: „Du bist eine Idee von Gott! Sein Kind.“ Auch ein Gedanke aus der Bibel. Der baut mich auf. Und er macht mir Mut, mich zu engagieren. Damit auch andere so von sich denken können.

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