Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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09MAI2019
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Im Spätmittelalter gab es auch schon Promis: Erasmus von Rotterdam war einer. Er war Priester und Mönch. Nach ihm sind das Erasmus-Programm für Studenten, der Erasmuspreis und viele europäische Institutionen heute benannt. Sein Leben finde ich faszinierend. Er ist viel gereist und hat in vielen Ländern Europas gelehrt und gearbeitet. Erasmus war im Kontakt mit fast allen anderen Promis seiner Zeit, mit den Königen und Päpsten. Er wurde für seinen brillanten Stil bewundert. Seine offenen Worte fanden Gehör.

Für mich ist Erasmus ein Christ und „Europäer“ von dem wir einiges lernen können. Er war kritisch, weitsichtig und tolerant.
Erasmus zählt zu einer ziemlich seltenen Gruppe von Menschen, die „zugleich unbedingte Idealisten und durchaus Gemäßigte sind.“ sagt ein Biograph über Erasmus. „Sie können die Unvollkommenheit der Welt nicht ertragen, sie müssen sich widersetzen; aber sie fühlen sich bei den Extremen nicht zu Hause.“

Als Christ kann auch ich „die Unvollkommenheit der Welt nicht ertragen“. Aber deshalb suche ich nicht nach Sündenböcken, der Mutter aller Probleme oder nach schwarz-weiß Lösungen. Wenn ich mir Erasmus als Vorbild nehme, dann darf ich durchaus scharfe Kritik üben. In klaren Worten sagen, was mich stört. Missstände anprangern. Zum Beispiel, wenn ich es unmenschlich finde, wie wir Flüchtlinge behandeln. Oder wenn wir zulassen, dass die Schere von Armen und Reichen immer weiter auseinander geht. Wenn Umweltsünden immer noch als Kavaliersdelikte behandelt werden oder wenn wir immer noch Waffen sorglos in alle Welt verkaufen.

Auch als katholischer Theologe und Politiker ist Erasmus für mich ein Vorbild. Er lebte in der Zeit der Reformation und wollte eine Spaltung verhindern. Erasmus war überzeugt: In den grundlegenden Glaubensfragen sind wir uns doch einig. Das schreibt er in Briefen an Martin Luther. Weniger Wichtiges könne man ruhig den einzelnen Gläubigen und ihren Gemeinden freistellen. Er hoffte auf die „Vernunft“ der Herrschenden, und wollte Frieden in Europa, ohne Glaubenskriege.

„Vernünftig sein“ hieß für Erasmus, sich tolerant zu verhalten und bei Konflikten eher nach Kompromissen suchen und nicht die kriegerische Auseinandersetzung. Von Erasmus lerne ich: Es ist besser, zusammen zu arbeiten, als sich abzuschotten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28590
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