Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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30APR2019
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Bertolt Brecht war ein Frauenheld. Er hatte Kinder von verschiedenen Frauen und mit seinen Mitarbeiterinnen meistens auch ein Verhältnis. Viele sagen, er hat die Frauen ausgenutzt. Trotzdem war er ein großer Künstler. Emil Nolde hat beeindruckende Gemälde der norddeutschen Landschaft gemalt, Blumengärten und Portraits. Die Nationalsozialisten haben seine Kunst für entartet erklärt. Aber Nolde war auch Sympathisant der Nazis und Antisemit. Das hat man erst kürzlich herausgefunden. Martin Luther hat auch in beschämender Weise gegen die Juden gewettert. Das weiß man schon länger.

Warum ich das erzähle – und die Aufzählung ist ja noch längst nicht zu Ende? Ich möchte deutlich machen: Künstler und Geistesgrößen sind keine Heiligen. Trotzdem sind sie große Künstler. Ihre Kunst wird nicht schlechter dadurch, dass sie dunkle Flecken auf der weißen Weste haben.

Überhaupt sind Menschen keine fehlerlosen Heiligen. Sogar in der Bibel wird das deutlich. Petrus, der bekannteste der Jünger Jesu hat unter Druck gesagt: ‚Diesen Jesus. ‚kenne ich gar nicht‘. Die übrigen Jünger sind davon gelaufen, als es gefährlich wurde. Thomas hat sich gesträubt, an die Auferstehung zu glauben. Der Missionar Paulus hat die Christen zunächst grausam verfolgt. Sie alle waren Menschen und haben Fehler gemacht. Ist deshalb wertlos, was sie hinterlassen haben?

Nur von einem sagt die Bibel, er sei ohne Schuld gewesen: von Jesus Christus. Der hat widerstanden, als er in Versuchung geraten ist. Und er hat gesagt: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“

Was soll das heißen, fragen Sie jetzt vielleicht. Soll ich so tun, als ob nichts wäre, wenn ich erfahre, wo der eine oder der andere Dreck am Stecken hat? Ist es am besten, nicht darüber zu reden, damit Nolde, Brecht, Schiller, Luther und all die anderen auf ihren Denkmälern stehen bleiben können?

Ich glaube nicht. Man darf es nicht unter den Teppich kehren. Man sollte ihre dunklen Seiten auch nicht verschweigen. Sie sind Menschen. Sie haben Fehler gemacht, manche haben das wahrscheinlich selber gewusst. Aber was sie geleistet haben für die Nachwelt, ihre Kunst, ihre Gedanken, ihre Reden – die sind trotzdem hörenswert und sehenswert. Sie regen mich an, mir meine eigenen Gedanken zu machen, gerade auch, wenn ich weiß, wer der Mensch war.

Eines meiner Lieblingsgedichte stammt übrigens von Bertolt Brecht – ausgerechnet über die Liebe. Es heißt: „Der, den ich liebe hat mir gesagt dass er mich braucht. Darum gebe ich auf mich acht, sehe auf meinen Weg und fürchte von jedem Regentropfen, dass er mich erschlagen könnte.“ Warum sollte ich das nicht schön finden, trotz allem?

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