SWR1 3vor8

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Herbst 2006. Ich bin mit einer Gruppe in Israel unterwegs. Es ist eine echte Grenzerfahrung, wie sich später zeigen wird. An einem heißen Sonntag steigen wir auf den Tabor. Das ist der Berg, auf dem Jesus als Gottes Sohn bestätigt worden ist. Jesus ist da mit drei Freunden raufgestiegen. Damals passiert etwas Unglaubliches: die alten Propheten Mose und Elija erscheinen. Jesus Freunde sind leider eingeschlafen und werden erst wach, als Mose und Elija schon wieder gehen wollen. Einer von den Freunden schlägt vor, für alle Hütten zu bauen. Aber das wird nichts. Plötzlich schiebt sich eine Wolke vor den klaren Himmel und sie hören Gottes Stimme: „Jesus ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“

Mit der Reisegruppe 2006 nehmen wir nicht den üblichen Weg hoch auf den Tabor, sondern laufen querfeldein. Unser Reiseleiter meint, das sei kein Problem. Für mich ist es ein Riesenproblem. Der Berg ist so steil, dass ich es fast nicht schaffe. Nur Geröll und trockene Erde. Nichts woran ich mich festhalten oder hochziehen kann. Die Leute aus meiner Gruppe helfen mir, so gut es geht. Aber da hoch muss ich irgendwie alleine.

Ich komme als Letzte oben an - mit meiner Kraft und den Nerven am Ende. Wir gehen in die Kirche, sitzen auf den breiten Stufen im Eingangsbereich, ich heule und unser Reiseleiter spricht über die passende Bibelstelle hier oben.

Langsam beruhige ich mich und kann wieder klar denken. Dann laufe ich auf dem Tabor rum und entdecke die traumhafte Aussicht. Und tatsächlich breitet sich nach und nach Stolz in mir aus. Ich bin stolz auf mich. Ich habe es geschafft!

Und ich bin stolz auf die Gruppe. Sie hat es geschafft, mich mitzuziehen, so wie ich eben bin.

Ich würde so gerne ein Foto machen um das alles festzuhalten. Aber das ist sinnlos. Diesen Moment kann ich nicht festhalten. Stolz kann man nicht fotografieren.

Die allerschönsten Momente in meinem Leben gibt es nicht als Foto oder Video. Die hab ich im Kopf und im Herzen. Den Heiratsantrag zum Beispiel oder das Tote Hosen-Konzert vor ein paar Jahren. Und eben mein Erfolgserlebnis mit dem Tabor.

Mit Gott geht es mir genauso. Ich würde ihn gerne festhalten, aber da geht gar nichts. Ich kann ihn ja nicht mal sehen. Es gibt Momente, da fühle ich mich Gott besonders nahe. Da spüre ich ihn. Als meine Oma gestorben ist, war das so. Oder wenn ich Musik höre, die mich mitreißt, die emotional durch und durch geht.

So ist es mir nach meinem steilen Weg auf den Tabor gegangen. Schnitzelfertig, aber stolz, dass ich es geschafft habe. Und am Ende Gott ganz nah.

Vielleicht war es für die Jünger damals auch so. Erst sind sie völlig fertig eingeschlafen, dann wollten sie Hütten bauen, um den großartigen Moment irgendwie festzuhalten. Aber sie haben festgestellt: solche Momente kann man gar nicht festhalten - man muss sie voll auskosten und im Herzen bewahren. 

Evangelium des Tages: Lk 9, 28b-36

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28310
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