SWR1 Begegnungen

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Lothar WagnerSeit Sommer letzten Jahres arbeitet der 45 Jahre alte Sozialpädagoge und Theologe im Südsudan. Südsudan? Richtig, das ist jener Staat in Nordosten Afrikas, der sich nach jahrzehntelangem Krieg 2011 die Unabhängigkeit vom Sudan erkämpfte, seitdem aber nicht zur Ruhe kommt. Es herrscht Bürgerkrieg. Die Folge: 400 000 Tote, über ein Drittel der rund 13 Millionen Einwohner auf der Flucht, in Camps im Inland oder benachbarten Ausland – und: UN-Schätzungen zufolge fast 20 000 Kindersoldaten. Hier setzt die Arbeit von Bruder Lothar und seinem Team an.

Wir arbeiten auf der Straße mit streetworkers in Wau, der zweitgrößten Stadt im Südsudan, das ist eine Hochburg für Kinder, die auf der Straße leben müssen, haben wir 1200 Kinder, die eben auch keinen Kontakt mehr zu ihren Familien haben, viele ehemalige Kindersoldaten. Kinder können jederzeit 24 Stunden uns aufsuchen, und erhalten dort die primären Grundbedürfnisse wie Nahrung, sie können eine Dusche nehmen, können ihre Kleidung waschen, können dort spielen, und die Kinder, die wieder nach Hause möchten, begleiten sie zu einem Familienbesuch und eben mit der Zielführung, sie wieder dort zu integrieren, und auch wieder von der Straße in die Schule zu bringen.

Jungen Menschen beizustehen, die getötet haben, die Leid verursacht oder gesehen haben, die selbst Opfer von Gewalt geworden sind, ist nicht leicht.  Zunächst einmal heißt es einfach da zu sein für sie, sagt Bruder Lothar. Vertrauen aufbauen, Geborgenheit schenken, das ist schon Teil der Therapie:

Dass Menschen, Kinder, sich austauschen können, dass sie feststellen, sie sind mit ihrem Leid nicht alleine, das ist für mich schon ein großer Erfolg, es ist immer ein Hochamt für mich, wenn die Kinder am Abend einen Zeichentrickfilm sehen können, 17, 18-Jährige, die nach einer Wiederholung nach anderthalb Stunden rufen, die begeistert sind, und einfach die jungen Menschen wieder ihre Kindheit nachholen zu lassen, das ist glaube ich auch ganz wichtig schon für die gesamte Entwicklung des Menschen

Doch die Arbeit der Salesianer geht weit über die Therapie von Leiderfahrung und Kriegstraumata hinaus. Der Orden unterhält wie in anderen Ländern auch, im Südsudan Schulen und Berufsschulen. In Wau bietet er Ausbildungen zum Maurer, Schreiner, Elektriker oder Computerfachmann an. 

Es ist ja wichtig, dass wir jungen Menschen Perspektiven geben, Hoffnung geben, ne Ausbildung geben, und dass der junge Mensch in der Lage ist, die Familie auch zu ernähren, und einen Beitrag zum Frieden auch leisten kann, weil es sind ja die jungen Menschen, die jetzt am Boden liegen, die das Land wieder aufbauen müssen, nicht wir gehen dorthin, und bauen das Land wieder auf, sondern die Menschen vor Ort müssen ihr Land wieder aufbauen.

Der Südsudan ist nicht das erste, sagen wir, schwierige Land, in dem der Ordensmann arbeitet. Vorher war er in Sierra Leone und Liberia.

Teil 2

Das Tätigkeitsprofil immer ähnlich:  Arbeit mit ehemaligen Kindersoldaten, Straßenkindern, Opfern von Gewalt. Woher nimmt er die Kraft, sich immer wieder neu auf solche Einsätze einzulassen, will ich wissen, sich aufzumachen und ins Elend hinein zu gehen, zu helfen?

Für mich ist immer wichtig auch deutlich zu machen, es ist keine one-man-show, ich bin nicht alleine, wir sind ein starkes Team, hochmotiviertes Team von Ordensleuten, von Mitarbeitern, von Ehrenamtlichen, das ist entscheidend. Aber letztendlich glaube ich ohne meinen Glauben wäre das nicht möglich, ne. Ohne Gott würde ich nie und nimmer im Südsudan leben können.

Millisekunden der Gotteserfahrung nennt er es, wenn er im Gegenüber den Mensch gewordenen Gott erkennt, wenn sich für einen kurzen Moment der Himmel öffnet:

Es sind kleine Momente, Augenblicke. Wenn ich den ehemaligen Kindersoldaten oder Straßenkindern in die Auge schaue, hab ich manchmal das Gefühl Christus schaut mich an, Christus, der heute seinen Kreuzweg geht, er geht ihn immer wieder neu, und die Menschen, die heute das Kreuz tragen, das sind die Kinder, die jungen Menschen für mich, denen ich begegne, täglich auf den Straßen, als Christen, als Katholiken, müssen wir uns ganz klar positionieren an diesen Kreuzwegen unserer Zeit. Sind wir die Apostel, die schlafen im Garen Getsemane oder sind wir wirklich Simon von Cyrene, der hilft das Kreuz zu tragen, oder Veronika, die das Schweißtuch reicht, ne, und ich denke, das aktualisiert sich heute je neu an jedem Ort, dafür braucht man nicht nach Afrika zu gehen, das kann man  auch hier in Deutschland, man muss nur aufmerksam sein.

Er ist kein Sozialromantiker, dieser Salesianer, aber ein waches Gespür für Fehlentwicklungen, Unrecht und Gewalt hatte er immer. Schon als Schüler beteiligte er sich an Mahnwachen gegen den Irak-Krieg und war politisch aktiv, bevor die Begegnung mit einem Ordensmann seinem Leben die heutige Richtung gab. Sein politisches Denken ist geblieben, etwa, wenn es um die staatliche Entwicklungshilfe geht. Die will er nicht pauschal verurteilen, aber:

Wir dürfen nicht glauben, dass wir die Probleme am Schreibtisch im Büro mit dem Laptop lösen, wir müssen in den Dialog mit den Menschen treten, es braucht da wirklich die Partnerschaft mit den Menschen vor Ort und es darf nicht oberlehrerhaft sein: Wenn ihr das nicht tut, kriegt ihr keine Entwicklungshilfe mehr, diese Beziehung, die darf es nicht mehr geben.

Kurz nach unserem Gespräch in Trier ist Bruder Lothar wieder in den Südsudan aufgebrochen, um an der Seite der geschundenen Menschen an Aussöhnung, Heilung und Frieden zu arbeiten. Ich verfolge seinen Weg seit langem. Und ich bin immer wieder neu beeindruckt von seinem Zeugnis. Ich bin Christ wie er, aber ich weiß: Ich könnte das so nicht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28280
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