Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Heute jährt es sich zum zehnten Mal: Ein junger Mann dringt in seine ehemalige Schule ein. Er hat eine automatische Pistole aus dem Waffenschrank seines Vaters dabei. 112 Patronen wird er abfeuern. Er schießt auf Schüler und Lehrer, flieht, wird von der Polizei verfolgt und hinterlässt dabei eine Spur des Todes. 15 Menschen verlieren ihr Leben, elf sind verletzt, als er sich schließlich selbst erschießt.

Der Amoklauf von Winnenden. Unter dieser Überschrift hat sich das schreckliche Ereignis mit seinen schwerwiegenden Konsequenzen in unseren Köpfen festgesetzt. Und die Geschichte unseres Landes geprägt. In den Schulen ist ein Notfallplan installiert worden, um sich in einem vergleichbaren Fall richtig zu verhalten. In der Schule, wo ich unterrichte, ist - wie in vielen anderen - ein Krisenteam gegründet worden. Als Pfarrer gehöre ich dazu. Wir wollen vorbereitet sein. Ob man das kann, ist eine andere Frage. Uns hilft es jedenfalls, dass wir gemeinsam einen guten Plan haben: zusammenzuhalten für das Leben und gegen den Tod. 

Davon sprechen auch Schüler der Albertville-Realschule, die an jenem 11. März 2009 überlebt haben. Einige von ihnen haben über ihr Leben nach dem Amoklauf ein Buch geschrieben. Sie schildern ihre Alpträume, in der die schlimmen Bilder sich wie in einer Endlosschleife wiederholen. Sie spüren, wie sie es nur ganz langsam wieder in den Alltag hinein schaffen. Und wissen gleichzeitig: Ihr Leben wird nie mehr so sein wie vorher. Pia beschreibt das so:

„Inzwischen ist viel Zeit vergangen. Ich (...) gehe jetzt aufs Gymnasium. Es liegt direkt neben der Albertville-Realschule, aber der Amoklauf ist kein Thema mehr. Wenn ich mal zu den Gedenktafeln hinübergehen will, kommt nie jemand mit. (...) Ich weiß nicht, warum das so ist. Ich habe viel darüber nachgedacht, warum der Junge das getan hat. Und habe nie eine Antwort gefunden. (...) Noch lieber würde ich die Zeit zurückspulen und alles ungeschehen machen. Aber das kann ich nicht. Niemand kann das. Ich spiele immer noch Fußball. (...) Aber ich glaube, ich werde doch kein Fußballprofi. ich will Ärztin werden. Meine Mama sagt, ich bin viel zu ernst für mein Alter.“[1]

Ich hoffe, dass Pia eine gute Ärztin wird. Dass sie und die vielen Schüler und Lehrer mit dem Trauma vom 11. März immer besser zu leben lernen. Ja, dass sie Mut fassen und Freude am Leben finden. Und dass wir alle dafür Sorge tragen, dass so etwas nicht mehr passieren kann. Auch indem wir uns gut umeinander kümmern: in den Schulen, unseren Freundeskreisen, in den Medien und Schützenvereinen.



[1] Bader e.a., Die Schüler von Winnenden. Unser Leben nach dem Amoklauf, Würzburg 2013, 68.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28229
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