SWR4 Sonntagsgedanken

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Kennen Sie Greta Thunberg? Vielleicht erinnern Sie sich an das 16-jährige Mädchen, das bei der Weltklimakonferenz in Kattowitz den versammelten Diplomaten und vor wenigen Tagen beim Weltwirtschaftsforum in Davos den Mächtigen ins Gewissen geredet hat: „Ich will, dass ihr handelt, als wenn euer Haus brennt. Denn das tut es“, hat sie da gesagt. Und weiter: „An Orten wie Davos erzählen Menschen gerne Erfolgsgeschichten. Aber ihr finanzieller Erfolg hat ein unvorstellbares Preisschild. Und beim Klimawandel müssen wir anerkennen, dass wir versagt haben.“ Das ging durch die Medien. Greta Thunberg hat auch die Aktion „Streik für's Klima“ ins Leben gerufen. Freitags gehen jetzt auch bei uns Schülerinnen und Schüler auf die Straße, um für den Klimaschutz zu protestieren. Greta Thunberg. 16 Jahre. Aus Schweden. Ein Phänomen. Von manchen belächelt, von anderen beschimpft, aber auch bewundert. Eine Prophetin unserer Tage wird Greta Thunberg gar genannt. - Propheten? Gibt's die nicht vor allem in der Bibel und in der Kirchengeschichte? Da sind Frauen und Männer: Jesaja, Ezechiel und Jeremia gehören dazu, Deborah und Miriam, aber auch Amos, der den Mächtigen seiner Zeit ins soziale Gewissen redet und sie zur Besinnung ruft. Oder Jahrhunderte später Hildegard von Bingen oder in der Neuzeit Oscar Romero. Ja, Propheten gibt es wohl auch heute noch. Menschen, die oft unbequem sind, hartnäckig sind, auf die Nerven gehen. Nicht selten erkennt man erst im Nachhinein, wie Recht sie doch hatten. Sie drängen sich nicht von sich aus ins Rampenlicht. Aber wenn sie ihre Mission gefunden haben, sind sie nicht mehr zu stoppen. „Im eigenen Land“ gelten Propheten dabei sprichwörtlich nicht viel. Das weiß schon die Bibel. Im eigenen Umfeld werden sie oft verächtlich gemacht, verspottet, verdrängt. Weil ich mich ertappt fühle bei dem, was sie aufdecken. Weil ich nicht wahrhaben will, was sie sagen. Weil sie meine eigene Bequemlichkeit in Frage stellen. Das will ich mir ja nur ungern sagen lassen.  Andererseits gilt auch: Nicht jeder, der große Reden schwingt und damit im Rampenlicht steht, ist schon ein Prophet. Schon in der Bibel wird ausdrücklich vor „falschen Propheten“ gewarnt, die nur den eigenen Nutzen, das eigene Prestige suchen. Wie aber soll ich erkennen, was „echt“ und was „falsch“ ist? Vielleicht steckt die Lösung schon im Wort selbst. In der Sprache des Alten Testaments, im Hebräischen, heißt Prophet übersetzt „nabi“. Das wird fast genauso ausgesprochen wie die Kurzform „Navi“ für die Navigationsgeräte etwa im Auto. Und vielleicht ist genau das das beste Erkennungszeichen: Propheten sagen, wo’s langgeht, damit das Leben ans Ziel kommt, damit Leben gelingt.

Aber Propheten gelten in der Heimat wenig, das ist sprichwörtlich. Vielleicht liegt es daran, dass es für das Prophetische den Blick von außen braucht, dass man denen mehr glaubt, die man nicht schon von Klein auf kennt, deren Argumente, Denkweisen und Ansichten nicht schon hundertfach gehört wurden: also nicht die Ansicht des Kollegen, des Familienmitglieds, des Politikers aus der Region. Dann lieber fremde Querdenker: Ein 16-jähriges Mädchen vor einer Versammlung von erfahrenen Diplomaten. Oder eine Frau in der Männerdomäne Kirche. Oder ein Argentinier in Rom – so wie Papst Franziskus. Ja, ich glaube, auch der Papst ist ein Prophet unserer Tage. Und vielleicht wird man das, was er Prophetisches sagt, erst in einigen Jahren und Jahrzehnten richtig merken und anerkennen: zur Würde aller Menschen, gleich welcher Herkunft; zur globalen, wirtschaftlichen und sozialen Gerechtigkeit; zu Fragen des Klimaschutzes und der Bewahrung der Schöpfung im gemeinsamen „Haus Erde“. Prophetisches setzt sich leider oft nur sehr mühsam durch. Nach Generationen. Propheten sind dabei nicht einfach „Wahrsager“, die in die Glaskugel blicken. Sie können das, was sie – oft zu Recht – kritisieren, nicht selbst ändern. Sie geben sich nicht selbst den Auftrag, sind keine Erlöser, nehmen sich nicht selbst zum Maßstab. Wenn die Bibel von Propheten spricht, dann finde ich immer spannend, wie sie zu ihrem Auftrag kommen. Oft fühlen sie sich gar nicht geeignet dafür, zu jung, zu unerfahren, zu schwach. Doch Gott traut gerade ihnen zu, dass sie etwas bewegen können, mit der Macht des Wortes. Das finde ich faszinierend. Es sind gerade nicht die Reichen und Mächtigen, mit denen Gott Großes vorhat. Es sind oft die Unscheinbaren, die sich am Ende durchsetzen, weil Gott ihnen den Rücken stärkt. Ich bin kein Prophet. Aber gerade wenn ich das Gefühl habe, dass ich eh nichts machen kann, nichts verändern kann, zu schwach, zu jung, zu unerfahren bin. Dann macht mir das Beispiel vieler Propheten Mut, es trotzdem zu versuchen. In der Hoffnung, dass Gott damit doch etwas anfangen kann; etwas bewirken kann, was am Ende vielleicht die Welt bewegt. In kleinen Schritten, in kleinen Zeichen, mit einfachen Worten – prophetisch: nachhaltig und unaufhaltsam.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28075
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