Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wem kann ich eigentlich noch vertrauen? Also nicht im persönlichen Bereich, sondern im öffentlichen. Das hab ich mich gefragt als die Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ zugegeben hat, dass ihr mehrfach preisgekrönter Journalist Claas Relotius viele seiner Reportagen gefälscht, ausgeschmückt oder gar frei erfunden hatte. Auch ich war ihm aufgesessen und habe in einer meiner Sendungen aus einem Interview zitiert, das er geführt hat.                                                               

Wem kann ich eigentlich noch vertrauen? Ich als Leser kann die Arbeit von Journalisten nur schwer überprüfen, besonders bei Interviews nicht. Ich muss also vertrauen können. Aber wem will, wem kann ich noch vertrauen? So viele, zu viele öffentliche Einrichtungen haben sich in den letzten Jahren als nicht vertrauenswürdig erwiesen. Der ADAC mit Manipulationen bei Preisverleihungen und Zweckentfremdung von Rettungshubschraubern, der VW Konzern mit seinen Diesel-Lügen oder die katholische Kirche mit dem sexuellen Missbrauch durch ihre Kleriker. Und jetzt eben der Spiegel, eines der Leitmedien in Deutschland.                 

Vertrauen ist ein hohes Gut. Es kann von einer Minute auf die andere zerstört werden und es braucht Jahre um es wieder herzustellen. Nicht umsonst ist „Du sollst nicht lügen“ eines der zehn Gebote. Wenn in der Öffentlichkeit gelogen und betrogen wird, dann geht das an die Grundfesten unserer Gesellschaft. Dann wird aus fairem, wirtschaftlichem Wettbewerb Manipulation und Betrug. Wenn in der Öffentlichkeit gelogen und betrogen wird, dann wird aus Meinungsbildung, die so exis¬ten¬zi¬ell wichtig für die Demokratie ist, ein Hauen und Stechen, bei dem die Wahrheit auf der Strecke bleibt. Wie mit Schrecken seit zwei Jahren in Amerika zu sehen. Wem also, welcher Institution kann ich noch vertrauen? Zunächst einmal den Institutionen, die mein Vertrauen seit Jahrzehnten nicht enttäuscht haben. Aber auch da, muss ich wachsam sein, so weh es tut, weil Institutionen Gebilde sind, die anfällig sind für Manipulation und Machtmissbrauch. Je größer, desto mehr.                                

Und Vertrauen zurückverdienen können sich nur die Institutionen, Clubs oder Konzerne, die nicht nur groß jammern, beteuern und ihre PR-Maschinerien in Gang setzen. Sondern selbstkritisch ihr System betrachten, das Lug, Trug oder Missbrauch ermöglicht hat und das, genau das dann auch verändern.

Peter Kottlorz, kath. Kirche, Rottenburg

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28025
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