Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Es gibt ein unfehlbares Rezept eine Sache gerecht unter zwei Menschen aufzuteilen. Einer von ihnen darf die Portionen bestimmen und der andere hat die Wahl.“ Welch‘ ein kluger Satz des deutschen Politikers Gustav Stresemann. So viel wie über Gerechtigkeit geredet wird und so viel wie sie eingefordert wird, so schwierig ist es oft sie praktisch umzusetzen. Das Rezept von Stresemann ist bestechend. Spielen wir es doch mal an einem Beispiel durch: Ein Unternehmer schlägt seiner Belegschaft die Verteilung des Unternehmensgewinns vor. Also zum Beispiel eine Portion für die Sicherung des Unternehmens, eine für Investitionen, eine für Rücklagen, eine Portion für den Unternehmer, eine Portion für die, die den Gewinn erarbeitet haben und jetzt darf die Belegschaft wählen, wie groß die Portionen sind. Oder umgekehrt: Die Belegschaft macht die Portionen und der Unternehmer darf wählen, wer welche bekommt. Der Witz bei diesem Rezept ist, dass man schon beim Verteilen daran denkt, was der andere dann tun könnte, wenn er die Wahl hat. Also, dass man durchs Denken an den anderen die eigenen Interessen schützt. Ein heilsames, egoistisches Interesse sozusagen, das den Verteilungsprozess lenkt und so Gerechtigkeit schafft. Im Idealfall wäre die Denke nicht vom Egoismus gelenkt, sondern vom Altruismus, das heißt, dass ich zuerst an das Wohl der Anderen denke. Aber nicht aus naivem Idealismus, sondern weil ich weiß wie gut es tut, wenn einem Gutes getan wird. Und genau deshalb Gutes tue und auch weil ich weiß, dass Gutes sich fortpflanzt.              

Das Stresemann’sche Rezept ist also die wunderbar praktische Anwendung einer alten Lebensweisheit: „Was Du willst das man dir tu, das füg auch einem Andern zu“. Oder christlich ausgedrückt: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“          

Peter Kottlorz, kath. Kirche, Rottenburg

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28022
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