SWR1 3vor8

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In unserer Welt geht es ungerecht zu. Ein Bibeltext, der heute in den Gottesdiensten der Katholischen Kirche dran ist, bestätigt das. Der Prophet Jesaja schreibt: Um Zions willen kann ich nicht schweigen, um Jerusalems willen nicht still sein, bis das Recht (…) aufstrahlt wie ein helles Licht und sein Heil aufleuchtet wie eine brennende Fackel. Dann sehen die Völker deine Gerechtigkeit.[1] Das bedeutet doch: Gott ist da, wo es gerecht zugeht, wo Menschen heil sind oder geheilt werden. Dort wird es unübersehbar hell. [Dort leuchtet Gottes Glanz. Und wo nicht, da ist auch Gott nicht. Zumindest bleibt er unsichtbar.]

Wenn ich mir überlege, was ich tagtäglich beobachte, was die Nachrichten bringen, dann überwiegt oft das Dunkle. Es geht nicht gerecht auf unserer Welt zu. In Jemen verhungern reihenweise die Menschen; und bei uns wird soviel weggeworfen, dass es selbst die Tafelläden nicht mehr aufnehmen können. Politische Debatten werden zunehmend in einem Ton geführt, der das Gegenüber abqualifiziert und erniedrigt. Jesaja beschreibt, dass Gott das nicht gefällt, dass er sich seine Schöpfung anders vorstellt, dass er dem entgegen treten wird. Gott wird so lange nicht schweigen, bis es endlich anders zugeht: gerechter, menschenfreundlicher. Ich frage mich bloß: Hört man das und wenn ja, wo? Auch zu Jesajas Zeiten ist die Stimme des Höchsten nicht aus einem unerklärlichen „Off“ an die Menschen gedrungen. Gott hat sich dafür Menschen zunutze gemacht. Menschen wie Jesaja, prophetische Menschen. Also nicht nur eine innere Stimme, die irgendwie theoretisch oder virtuell bliebe, sondern in echter Sprache und so, dass man es aufschreiben konnte und weiter erzählen. Bis heute.

Mir scheint allerdings: Es gibt nur wenige Typen, die wie Jesaja in deutlichen Worten den Mund für Gott aufmachen und für Gerechtigkeit kämpfen. Ja, es kommt mir so vor, als ob sie zumal dort fehlen, wo doch Gott das Hauptthema sein müsste: in der Kirche und ihren machtvollen Strukturen, die sie sich in zweitausend Jahren erkämpft hat. Da ist von vielem die Rede, aber erstaunlich wenig von Gerechtigkeit. Wir von der Katholischen Rundfunkarbeit haben uns genau angeschaut, über was wir in unseren Sendungen sprechen. Auch da kommt das Thema Gerechtigkeit selten vor, zu selten. Vielleicht weil wir damit am meisten anecken und befürchten müssen, dass wir uns der Kritik aussetzen, wir seien zu politisch.

Ich kann nicht schweigen bis das Recht aufstrahlt wie ein helles Licht und sein Heil aufleuchtet wie eine brennende Fackel, sagt Jesaja in Gottes Namen. Das ist und bleibt das Markenzeichen derer, die an den Gott Jesu Christi glauben. Und eine bleibende Herausforderung für alle, die sich Christen nennen.

 

Thomas Steiger aus Tübingen von der Katholischen Kirche.



[1] Jes 62,1f.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27944
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