Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Während wir uns heute früh wieder mühsam aus den Federn quälen, um zur Arbeit zu gehen, kehren andere müde und erschöpft von dort zurück. Die Krankenstationen in den Kliniken und Pflegeheimen wurden soeben übergeben, an vielen Dienststellen und in den Fabriken hat die Frühschicht übernommen. Schätzungen zufolge wird für etwa 10 % aller Beschäftigten in Deutschland die Nacht zum Tage.[1]) Manche melden sich freiwillig für die sogenannte Dauer-Nachtschicht, denn da ist gutes Geld zu verdienen. Die anderen aber müssen Nachtarbeit in rollierenden Schicht-Systemen einfach in Kauf nehmen.

Ich denke heute früh an meinen polnischen Freund Bartocz. Er hat die liebe lange Nacht hochkonzentriert mit dem Gabelstapler schwere Teile aus dem Hochregal entnommen, um sie in der Fabrik zu verteilen oder in den bereitstehenden Güterzug zu laden. Im Moment trinkt er sicher mit seiner Frau Kaffee, bevor sie zur Arbeit geht. Für Bartocz aber beginnt nun die Nacht.

Aber nicht alle Nacht-Schichter sind geborene „Nachteulen“ - im Gegenteil: Die meisten arbeiten gegen die innere Uhr – das schlägt durch aufs Nerven-Kostüm. Wer nachts arbeitet, reagiert oft gereizt, klagt über Herz- und Kreislaufprobleme und leidet vor allem an einem erheblichen Schlaf-Defizit. Ist ja klar: Wenn man frühmorgens einschlafen soll, müht sich sogar das Sandmännchen vergebens. Draußen tobt der Straßenverkehr, im Haus schlagen Türen und die Morgensonne sticht durch die Jalousien. Die Kinder finden‘s gar nicht lustig, ständig auf leisen Sohlen schleichen zu müssen. Der frühe Nachmittag ist dann für die meisten Tagschläfer schon wieder früher Morgen.

Auch gesellschaftlich leben die Nacht-Schicht-Leute im Abseits. Wo soll sich jemand, der wie ein Maulwurf kaum das Tageslicht erblickt, regelmäßig einbringen und mitmischen können? Familien, Freundschaft und Beziehungen leiden. 

Niemand will nachts auf Polizei, auf Rettungsdienste und Pflege verzichten, nicht einmal auf die frische Laugenbrezel, die zu nachtschlafender Zeit gebacken wurde. Und denen, die beim Mondenschein die Produktion am Laufen halten, verdanken wir einen erheblichen Teil unseres Wohlstandes.

Daher verdienen alle, die nachts arbeiten müssen und nun zu Bett gehen, ein wenig mehr Achtung, Respekt und vor allem Dankbarkeit.      



[1]     Statistisches Bundesamt – Mikrozensus 2018

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27921
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