Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Jede Träne, die geflossen ist, obwohl man sie hätte abwischen können, ist eine Anklage“. Dieses Zitat stammt von der sozialistischen Aktivistin Rosa Luxemburg.  Wem solche Worte aus der Feder fließen, der hat gewiss viel Unrecht und Gewalt erleiden müssen. So war es auch: Rosa Luxemburg wurde ihr Leben lang verfolgt, immer wieder inhaftiert, schwer gefoltert und heute vor einhundert Jahren in Berlin kaltblütig erschossen. Ihre Leiche hat man erst Monate später im Landwehrkanal gefunden. Ein Auftragsmord von oben. Die Täter kamen fast ungeschoren davon, die verantwortlichen Offiziere wurden sogar freigesprochen.

Jede Träne, die man abwischen könnte, ist eine Anklage. Jede Träne, jedes Seufzen klagt gegen den, der es verursacht, das meint auch die Bibel (Jesus Sirach 35,18).

Nimmt man das wörtlich, gibt‘s eine lange Anklageschrift. Die Tränen jemenitischer Kinder klagen uns an. Sie sterben in diesem entsetzlichen Krieg, für den wir immer noch die Waffen liefern.[1]In Partnerschaft und Beziehung reicht ein ungutes Wort, und schon fließen die Tränen. Auch sie klagen an. Alte Menschen sehe ich oft weinen, weil sie sich abgeschoben fühlen und nun einsam und verlassen ihrem Ende entgegensehen. Jede Beleidigung geht auf unser Konto, wenn wir zu Unrecht einander weh tun.

Dass wir uns zusätzlich Leid antun, ist einfach nur zum Weinen. Als wäre unser Leben nicht leidvoll genug. Auch heute werden wieder Menschen mit schlimmen Diagnosen konfrontiert, müssen mit einer schweren Krankheit leben lernen und vielleicht dem nahen Tod ins Auge blicken. Auch heute werden Polizei und Notfallseelsorger Todesnachrichten überbringen müssen. So viele Schmerzen, die auszuhalten sind, so viele Abschiede, die man verkraften muss. Das reicht!

Wer andern Leid zufügt, macht sich schuldig. Aufgepasst! Gott ist da sehr hellhörig, erzählt die Bibel: „Ich habe gesehen, wie mein Volk in Ägypten unterdrückt wird. Ich habe sein Geschrei gegen die Antreiber gehört, ich kenne seine Klage. Ich bin gekommen, um es von seinen Unterdrückern zu befreien“ (Exodus 2,7-8).



[1]     „Handelsblatt“ 21.09.2018

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27920
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