Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Anmerkung

Das Interview, aus dem ich in dieser Sendung zitiert habe, gehört zu den Beiträgen, die der ehemalige Spiegel-Journalist Claas Relotius nachweislich gefälscht, ergänzt oder erfunden hat. Dieses Interview hat zwar tatsächlich stattgefunden, aber Traute Lafrenz hat sich davon distanziert, weil Dinge darin stehen, die sie so nicht gesagt hat.

Ich habe mich entschlossen, diesen Text trotzdem im Netz stehen zu lassen, weil ich die Kenntnis der Lebensgeschichte von Traute Lafrenz und die Erinnerung an die verschiedenen Ereignisse des 9. Novembers in der Geschichte Deutschlands für wichtig halte. Und schließlich soll ein derart kommentierter Text auch eine Mahnung sein, wachsam und kritisch mit allem umzugehen, was gesprochen, gehört oder gedruckt wird.

Dr. Peter Kottlorz im Januar 2019

 

„Darüber kann einem ganz schwindelig werden. Was entmenschlicht uns und was macht uns dann wieder zum Menschen? Und wenn für beides nur ein Wimpernschlag genügt, müssen wir dann nicht immer wachsam sein? Kehrt nicht auch das Böse, wenn man es lässt, eines Tages zurück?“                                

Das hat eine Frau gesagt von deren Existenz ich bis vor ein paar Wochen nichts gewusst habe: Traute Lafrenz. Sie ist 99 Jahre alt und die einzige Überlebende der Weißen Rose, der Widerstandsgruppe gegen Adolf Hitler. Sie war befreundet mit Hans und Sophie Scholl, mit Hans einen Sommer  lang ein Paar. Mit den Geschwistern Scholl hat Traute Lafrenz Flugblätter verteilt gegen Hitler und seine Nationalsozialisten. Nach der Hinrichtung mehrerer Mitglieder der Weißen Rose wurde auch sie verhaftet, rettete durch beharrliches Schweigen mehreren Menschen das Leben. Kurz vor Kriegsende entging sie ihrem Todesurteil, weil das Gefängnis, in dem sie auf ihren Prozess wartete, von den Amerikanern befreit wurde. Nach dem Krieg wanderte sie in die USA aus, wo sie seit 70 Jahren lebt.

Dem wunderbar hartnäckigen Journalisten Claas Relotius ist es gelungen das Interview mit ihr zu führen, aus dem ich anfangs zitiert habe. Traute Lafrenz hat ihn am Telefon mehrfach abgewimmelt, trotzdem ist er nach Amerika geflogen, stand irgendwann vor ihrem Haus und sie ließ ihn dann doch rein. Auf die Frage warum sie ihn so oft abgewimmelt habe, antwortete sie, dass es ihr ungerecht vorkomme, weil sie ein so langes Leben hatte und ihre Freundinnen und Freunde so jung sterben mussten. Es ist aber ein Glücksfall und ein journalistisches Glanzstück, dass es dieses Interview nun doch gegeben hat. Denn Traute Lafrenz ist mit ihren 99 Jahren glasklar im Kopf und hat uns Deutschen Dinge zu sagen, die wir uns nicht nur heute, am 80. Jahrestag der Reichsprogromnacht, in Herz und Hirn sinken lassen sollten. Über den neuen Rechtspopulismus bei uns sagt sie zum Beispiel:

„In einer amerikanischen Zeitung habe ich aktuelle Fotos aus Deutschland gesehen – mir ist ganz kalt geworden… Deutsche, die streckten auf offener Straße den Arm zum Hitlergruß, wie früher. Ich bin alt, aber ich bekomme ja alles mit. Die Art, in der jetzt über Flüchtlinge geredet wird wie über Kriminelle oder Vieh, da werde ich hellhörig. Ich weiß auch, was Politiker im Bundestag nun wieder so sagen. ‚Lügenpresse‘, ‚Volksverräter‘, ‚Stolz auf die Wehrmacht‘? Diese Leute wissen ja gar nicht wovon sie reden, aber sie benutzen die gleichen Tricks. So fängt es an.“  

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Quellen:

Der Spiegel, Nr. 39, 22.9.2018, Seite 58.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article168696834/Gauland-verteidigt-seine-Aussage-ueber-Wehrmachtssoldaten.html

http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/afd-alexander-gauland-relativiert-verbrechen-der-wehrmacht-15199412.html

https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-09/afd-alexander-gauland-nazi-zeit-neubewertung

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27485
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