Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Eigentlich bin ich ein ziemlich friedlicher Mensch, aber seit diesem Frühjahr gibt es etwas, dass  mich wahnsinnig nervt und richtiggehend aggressiv macht: Ringeltauben! Entweder haben sie sich in meiner Wohngegend rasend vermehrt oder sie sich als neue Niederlassung ausgesucht oder beides. Wie auch immer: nicht eine, nicht zwei, nicht drei, nicht vier, ich vermute 6, 8 oder 10 dieser Vögel beschallen unsere Wohngegend von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang.

Ich liebe Vögel und auch Vogelgezwitscher, aber das penetrante „Huhu-Hu“ dieser Jammervögel macht mich schier wahnsinnig. Weil sie nahezu ununterbrochen ein Zwangskonzert veranstalten, bei dem sie alle anderen Vögel und Naturgeräusche übertönen und dem man sich nicht entziehen kann. Nun bin ich kein Mensch der sich leicht mit etwas abfindet. So habe ich mir erst mal einen Plastikraben gekauft und ihn auf den Balkon gesetzt, zur Abschreckung. Hat auch geklappt, aber nur zwei Wochen lang, bis die nicht doofen Tauben gemerkt haben, dass ihnen der Plastikkollege nichts macht. Dann habe ich mir ein ellenlanges Wasserspritzrohr besorgt, mit dem ich sie vertreiben konnte, meistens ohne sie zu treffen. Aber nach einer Weile haben sie sich dann nur noch auf so hohe Dachgiebel gesetzt, die selbst für mein Riesenspritzgerät unerreichbar waren.

Und dann passierte Folgendes: Eines schönen Samstagnachmittags flog doch tatsächlich einer meiner geflügelten Nervtöter durch unsere Terrassentür mitten in unser Wohnzimmer. Flatterte wie verrückt gegen die Scheibe und setzte sich dann erschöpft auf die Fensterbank. „So“, dachte ich, „jetzt hab ich dich“. Schloss die Terrassentür und hatte ganz finstere Gedanken. Aber als ich mich ihr näherte fing sie wieder ganz verzweifelt an zu flattern und ich sah wie zart und schön dieses Tier doch ist. Damit es sich beim Flattern gegen die Fensterscheibe nicht verletzt, holte ich ein Geschirrtuch, legte es vorsichtig um die Taube, nahm sie so in meine Hände und war ganz berührt von ihrer zarten Schönheit, ihrer Angst und ihre Verletzlichkeit in meinen Händen. So ging ich also mit ihr auf die Terrasse und sagte zu ihr: „Und jetzt mach du bitte keinen solchen Dauerlärm mehr und ließ sie fliegen.“

Warum ich das erzähle? Weil es für mich ein Lehrstück war, wie Abneigung, Wut oder gar Hass auf Fremdes, Entferntes oder Nerviges, sich auflösen kann, wenn man sich näher kommt. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27484
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