Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Bevor ich mich zur Ruh begeb, zu Dir oh Gott mein Herz ich heb“, die Älteren von Ihnen kennen dieses Abendgebet vielleicht noch, auch wie es endete: „In Deine Wunden schließ mich ein, dann schlaf ich ruhig, keusch und rein“. Um dieses „keusch“ geht es mir heute Morgen. Denn keusch ist eines der Worte, die ich ‚kaputte Worte‘ nenne. Kaputt gemacht und dadurch nicht mehr in Gebrauch. Beim Wort ‚keusch‘ ist besonders interessant, dass es von der Kirche eingeführt und kaputt gemacht wurde. Es kommt vom lateinischen con-scius, was ursprünglich ‚mit-wissend‘, ‚bewusst und ‚gewissenhaft‘ bedeutet. Als ‚keusch‘ wurde es in seiner Bedeutung von der Kirche auf sexuelle Enthaltsamkeit eingeengt. Und zwar in Gedanken und Taten, wie es so peinlich präzise im Kinder-Beichtspiegel meines Gesangbuchs hieß. Richtig kaputt gemacht wurde das Wort ‚keusch‘ dann dadurch, dass sich sexuell enthaltsame, aber gerade auch sexuell nicht enthaltsame Priester ins Intimleben der Menschen gezwängt haben. Und zwar auch in Gedanken und Taten.        

In Gedanken, indem sie sich jahrzehntelang als Hüter der Sexualmoral gegeben und ungefragt ins Intimleben der Menschen eingemischt haben. Und noch viel schlimmer durch ihre Taten. Indem sie in erschütternd großer Zahl und unvorstellbar langer Dauer Kinder und Jugendliche  sexuell missbraucht haben. Und zwar weltweit, wie es sich nach und nach gezeigt hat.

Und was machen wir jetzt mit dieser zertrümmerten Glaubwürdigkeit der Katholischen Kirche, die sich nicht nur in kaputten Worten zeigt?

Gerade an der ursprünglichen Bedeutung des Wortes „keusch“ entlang könnte, ja müsste sich der Priesterstand der Katholischen Kirche rehabilitieren. Keusch als bewusst und mitwissend. Im Sinne von bewusst dadurch, dass die Verpflichtung zur sexuellen Enthaltsamkeit für Priester, das Zölibat, endlich abgeschafft wird. Denn, wenn sich jemand wirklich frei und bewusst für das Zölibat entscheiden kann, wird sexuellen Fehlformen und Missbrauch ein Nährboden entzogen.

Und keusch durch Mitwissen, könnten zölibatär lebende Priester dadurch sein, dass sie in die Gemeinschaft mit nicht zölibatär lebenden Frauen und Männern eingebunden sind. Frauen und Männer, die um die so kostbare wie schwierige Lebensform Zölibat wissen, die zölibatär Lebenden dabei begleiten und kirchliche Entscheidungen mit ihnen zusammen treffen. Auf jeder Ebene.

So könnte das bisher geschlossene System des Priesterstandes, das sicherlich viel Heil gebracht, aber auch zu viel Unheil angerichtet hat, geöffnet werden. Und die sexuell enthaltsamen Priester wahrhaft keusch leben. Zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen.                                                    

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27482
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