Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Bettler. Zur Zeit haben sie Hochsaison. Denn die Vorweihnachtszeit ist gut für warme Gefühle, für Zeichen der Mitmenschlichkeit. Das ist gut so. Aber nicht immer so. Bettler stören oft. Sie sind ein scharfer Kontrast zum Glitzer und der Konsumwelt vor deren Tempel sie oft sitzen. Wenn sie denn dort sitzen dürfen.
Mich haben Bettler schon gestört, weil sie an mein Gewissen appellieren. Immer, direkt und kompromisslos. „Habe Hunger“, steht auf ihrem Pappschild, auch wenn sie das Geld hinterher für Alkohol ausgeben. Oder „Keine Wohnung“, „Bin in Not“, „Brauche Hilfe“. Hilfe – was muss passiert sein, dass sich ein Mensch auf den kalten Boden setzt und mit einem Pappschild um Hilfe bittet. Bettelt. Trotzdem, manchmal, wenn ich einfach schnell wohin will, was besorgen muss, stören mich die Bettler. Weil Eile kein Gewissen kennt und ich auch nicht immer was geben kann oder will. Und die Ausreden, die mir dann durch den Kopf gehen stinken mir selber: „Warum immer ich, es gibt Profis, die sich um solche Menschen kümmern, bei uns muss doch keiner hungern“.... Mein Gewissen lässt mich Gott sei Dank doch nicht los. Letztlich ist es mir gelungen aus dieser Zwickmühle zwischen Wegschauen und schlechtem Gewissen raus zukommen. Ich hatte Zeit und ging zu einem Supermarkt. Bei den Einkaufswagen saß in sich zusammen gekauert, ein älterer, südländisch aussehender Mann mit gepflegtem Schnauzer. In der einen Hand hielt er eine Wollmütze für das Geld, in der anderen ein Farbfoto von zwei Kindern. Natürlich kenne ich all die Geschichten über organisierte Bettlerbanden und die Techniken für die Tränedrüse. Aber ich ging in die Hocke und fragte ihn, ob er deutsch spreche. Und schaute in traurige, wissende und warmherzige Augen, wunderschöne Augen. Er sprach nur gebrochen deutsch. Er sagte, dass er aus der Slowakei sei. Und als ich ihm erzählte, dass meine Mutter in Bratislava, also auch in der Slowakei zur Schule ging, kam ein leichtes Strahlen in seine Augen. Den Rest seiner Geschichte konnte und brauchte er mir nicht sagen. Wie er in solche Not kam, dass er an einem kalten Dezembermorgen in Deutschland sitzt und für seine Enkel betteln muss. Mit sehr gemischten Gefühlen ging ich von ihm weg und setzte mich in mein noch warmes Auto: Peinlich berührt, weil ich diesem beeindruckenden alten Herrn Geld in die Mütze getan hatte, traurig über Schicksale wie seine, und froh, dass ich mit ihm geredet und in seine Augen geschaut habe.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2748
weiterlesen...