Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Ich mag die Stille. Das war schon als Kind so. Ich erinnere mich genau. Zum Beispiel an die Stille in der Kirche, kurz bevor der Gottesdienst angefangen hat. Ich weiß bis heute, wie es dort gerochen hat, sehe die Lichtstrahlen durch die Fenster fallen und höre wie die Orgel die Stille beendet. Es war eine besondere Stille, mir war sie heilig. Immer wieder hab ich sie erlebt. Aber nicht nur in der Kirche. Oft in der Natur. Auch mit Menschen. Z.B. als ich mit 13 zum ersten Mal alleine in Stuttgart war. Eigentlich um einzukaufen. Aber dann war ich so fasziniert von den vielen Menschen, dass ich mich auf dem Schlossplatz auf einen Betonpfosten gesetzt habe um ihnen zuzuschauen. Natürlich war es in der Stadt nicht still. Aber ich habe es so empfunden, während ich beobachtet habe wie unterschiedlich sich Menschen bewegen und dass man in ihren Gesichtern etwas davon sehen kann wie es ihnen geht. Noch später ist mir bewusst geworden, wie lebendig ich mich selbst in solchen Momenten fühle. Ich mag die Stille bis heute.

Kontemplation nennen das gläubige Menschen. Das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „anschauen“, „betrachten“ und ursprünglich wohl, „von göttlichen Kräften erfasst werden“. So fühlt es sich an. Was ich innerlich erlebe und was ich außerhalb von mir wahrnehme, ist nicht mehr getrennt. Es ist eine andere Möglichkeit, das Leben zu fühlen. Alles fühlt sich dabei so wertvoll an, so vollständig, so sinnvoll ohne jeden Zweifel.

Ich kenne die Stille auch anders: bedrohlich, voller Angst und Zweifel. Wenn mir alles sinnlos vorkommt und ich mich einsam fühle. Solche stillen Momente sind schrecklich. Diese Stille mag ich nicht. Und ich kann deshalb gut verstehen, wenn Menschen sich permanent beschäftigen um das alles nicht zu erleben.

Aber weil ich weiß, dass Stille so und anders sein kann, lass ich sie zu -so und anders. Mit der Zeit hab ich gelernt, was ich brauche, um diese heilige Stille zu erleben. Ich finde sie an verschiedenen Orten. Manchmal in meiner Wohnung, im Auto, auf meiner Lieblingsbank unter einer Birke. Immer wieder auch in einem Kloster in Frankreich.

Ich suche diese Möglichkeiten, weilsich alles dabei so wertvoll anfühlt, so vollständig, so sinnvoll ohne jeden Zweifel.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27346
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