SWR1 Begegnungen

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Michael ScheuermannPeter Annweiler trifft Michael Scheuermann

Arrival City und Ausgehviertel
An einem heißen Sommertag begrüßt er mich noch abends in seinem Büro - mitten im Mannheimer Jungbusch. Die Hitze steht in den Straßen, sein Büro ist verdunkelt.  Der  57jährige Sozialpädagoge ist so etwas wie der Bürgermeister in einem schwierigen Viertel. Als „Quartiermanager“ kennt er die wunden Punkte.

Ich sehe Kontraste, Spannungen, Widersprüche – das ist das Markante, wenn man heute durch den Jungbusch geht: Menschen, die ihren Cocktail in der Bar schlürfen und nebendran Kinder in Armutssituationen, die im Müll spielen.

Auf engstem Raum gibt es Arme und Wohlhabende.  Schlicht- und Luxuswohnungen liegen ganz nah beisammen. 68 % der Bewohner des Hafenviertels haben Migrationshintergrund. Schon lange steht eine große Moschee  direkt neben der Kirche. Der Jungbusch ist „Arrival City“,  erster Anlaufpunkt für Migrantengruppen, und gleichzeitig Ausgehviertel. Ganz schön viele Themen prallen da aufeinander. Doch Michael Scheuermann lässt sich in seiner Liebe zum Quartier nicht beirren:

Ich seh‘ weiter das, was mich von Anfang an fasziniert hat, an diesem Stadtteil. Er ist unglaublich lebendig, er hat Atmosphäre – und die Menschen sind im wahrsten Sinne des Wortes auch Lebenskünstler.

Klar, das ist nicht immer ganz so einfach. Aber irgendwie ist es gelungen, das „Kippen“ dieses Stadtteils zu vermeiden.

Auf der einen Seite ist es die Irritation und die Überforderung und die Angst, aber auf der anderen Seite kann man auch kollektiv auf so etwas zurückgreifen, was dieser Stadtteil sich in Jahrzehnten aufgebaut hat: in der Zuwanderung, in der Vielfalt auch das Positive zu sehen und mit Gelassenheit auf solche Veränderungen zu reagieren.

Wenn auf engem Raum nur das Eigeninteresse im Blick ist, dann kippt ein Gemeinwesen  in meinen Augen schnell in Richtung „Babylon“. Dieser Name der alten Hauptstadt des Zweistromlandes ist in der Bibel ein Symbol  für die egoistische, gewalttätige und gottesferne Stadt. Daneben steht die Utopie für eine gemeinschaftliche und heilige Stadt – das himmlische Jerusalem. Und das finde ich erstaunlich: Dass Gottes Reich sich in der Stadt verwirklicht. Eben nicht in einem paradiesischen Garten, nicht auf einen einsamen Gipfel. Sondern in einer Stadt! Für mich ist das  Anreiz und Verpflichtung, Stadtviertel wie den Jungbusch nicht aufzugeben.

Gutes Leben in der Stadt - es ist die Vielfalt, es ist die Offenheit, auch die Weltoffenheit. Es ist aber vom Utopischen her der Gedanke, dass ein gutes Leben ein Geben und Nehmen braucht. Den Stadtteil zeichnet aus, dass viele Menschen an diese Möglichkeit glauben und an diese Chance glauben, dass Vielfalt Reichtum ist.

Gemeinwohl vor Eigennutz
Michael Scheuermann kennt den Mannheimer Jungbusch wie kaum ein anderer. Seit 25 Jahren leitet er das Gemeinschaftszentrum des dynamischen Hafenviertels. Er ist Vermittler zwischen Bewohnern und Verwaltung, aber auch Brückenbauer vor Ort.

Ich weiß noch, dass ich mal vor der Moschee gestanden bin und dass mich dann jemand fragte: „Da drüben steht doch die Kirche. Unsere Verwandten aus Anatolien sind da- die haben noch nie eine Kirche gesehen.“

Klar: Da hat Michael Scheuermann eine Kirchenführung vermittelt - und bald ist in der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee das Modell der „offenen Moschee“ entstanden. Bis heute werden dort Einzelne und Gruppen immer gastfreundlich empfangen. Dass die Religionsgemeinschaften eine große Rolle für den sozialen Frieden in einem sensiblen Stadtteil spielen, ist für den 57jährigen Katholiken selbstverständlich.

In der Tat ist der Jungbusch sehr stark davon geprägt, dass hier die zwei größten Moscheen Mannheims stehen, dass hier die evangelische Hafenkirche seit vielen Jahrzehnten eine sozialräumliche Arbeit macht ....  – und dass die katholische Liebfrauenkirche einen Steinwurf von der Moschee entfernt ist – also ein Symbol auch, dass die Religionen sich hier die Hand geben.

Wenn die Wege kurz sind, ist der Dialog leichter. Das hat sich in Mannheim als ein wichtiges Prinzip für interreligiöse Begegnungen gezeigt. Wenn etwa „der Busch spielt“, dann laden im Ramadan Kirchen und Moscheen zu einem kulinarischen und kulturellen Abendprogramm auf den Quartiersplatz ein. - Dass so etwas entstehen kann, hat auch viel mit Michael Scheuermanns persönlicher Überzeugung zu tun:

An der Stelle versuche ich auch mein Christsein zu verdeutlichen – auch mich selber auf die Suche zu machen, wo ich Belege dafür finde, dass wir an einen Gott glauben, auch wenn er sich sehr unterschiedlich darstellt.

Wenn ich selbst eine Überzeugung habe, kann ich besser nach dem suchen was verbindet. Oder auch benennen, was trennt. Der Schwerpunkt für den Jungbusch ist jedoch klar:

Dass wir hier nach Gemeinsamkeiten schauen – und dass auch Kirchen und Moscheen ...  nach den Gemeinsamkeiten schauen – und damit auch einen Zusammenhalt hier im Stadtteil befördern, der dringend nötig ist, wo 60 verschiedene Nationalitäten leben, das war mir immer ein Herzensanliegen.

Mit dem Herzen dabei sein - das ist wohl das Wichtigste, wenn es darum geht, ein „Gemeinwesen“ zu zimmern. Nur „mit dem Herzen“ kann es gelingen, Gemeinwohl vor dem Eigennutz zu platzieren. Nur so - mit dem Herzen motiviert - können Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Religion und  Einkommenslage in einem Sozialraum mit einander leben - gerade im Blick auf die Ereignisse in Chemnitz ist das neu deutlich geworden. Wie gut, wenn Profis wie Michael Scheuermann genau dafür einstehen. Und mit ihrem Wirken gegen alle Tendenz, sich „first“ und rücksichtslos zu geben, zeigen: Nur gemeinsam können wir groß sein!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27139
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