Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Von Anfang an haben Menschen am Kreuz Anstoß genommen. Der Apostel Paulus bezeichnet es als einen Skandal, weil er weiß, dass es für die frommen Juden seiner Zeit unerträglich ist: Im Kreuz ein Zeichen des Sieges über den Tod zu sehen. In einem Werkzeug der Todesstrafe. Das Kreuz soll zum Ausdruck bringen, dass Gott die Menschen liebt. Der dort hängt, der Gekreuzigte, Jesus aus Nazareth, soll der Messias, soll Gottes Sohn sein, sagen seine Anhänger. Das war eine unglaubliche Provokation.

Wie jeder Christ bin ich es gewöhnt, Kreuze zu sehen. Sie hängen in Kirchen. Ich habe welche in meinem Haus und ich trage seit ich siebzehn bin eines um meinen Hals. Der Umgang mit dem Kreuz ist für mich völlig normal,  gehört zu meinem  Alltag. Ich muss aufpassen, dass es nicht zum Accessoire wird, zu einem bloßen Kunstgegenstand oder einer nostalgischen Reliquie. Wenn ich nämlich genau hinsehe, ist das Anstößige bis heute geblieben. Es muss unbedingt bleiben, wenn man dieses Zeichen nicht seiner Kraft berauben will. Und die besteht eben gerade darin, dass es um den Tod geht, um einen ganz furchtbaren, der zur Zeit Jesu als Schande empfunden worden ist. Nur einer, der nichts Wert war, der keine Bedeutung hatte, musste jämmerlich am Kreuz ersticken. Das Kreuz steht für das Gegenteil von Triumph. Keiner hätte daran gedacht, dass ein Gott so seine Macht zeigen könnte. Aber das haben die ersten Christen schnell anders gesehen. Sie haben für sich begriffen und geglaubt: Darin steckt eine Kraft, anders als wir sie gewöhnt sind, nicht eine, mit der man oberflächlich prahlen kann. Es ist eine Kraft, die die Verhältnisse auf den Kopf stellt. In ihr steckt, was das Christentum von den anderen Religionen unterscheidet. Dass Gott dort zu finden ist, wo menschliches Leben gefährdet ist, wo einer aus Schwäche am Boden liegt, wo der Tod mitten ins Leben einbricht. Gott ist zuerst auf der Schattenseite der menschlichen Existenz zu finden, und eben nicht dort, wo alles strahlend, gesund und zufrieden ist.

In der jüngsten Debatte um Kreuze in bayerischen Behörden und Ämtern darf jener Skandal, der zwingend zum christlichen Glauben gehört, nicht vergessen werden. Wenn Noten verteilt oder Gerichtsurteile gesprochen werden, wenn Menschen um Hilfe nachsuchen - und sich das dort abspielt, wo ein Kreuz hängt - dann müssen die Beteiligten wissen, dass die Verhältnisse beim Gott Jesu Christi anders sind. Andernfalls wird das Kreuz zu einem Feigenblatt, oder gar zum Platzhalter für politische Interessen, die mit der christlichen Botschaft kaum mehr etwas zu tun haben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27112
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