Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Den meisten Menschen fällt es schwer, darüber zu sprechen, dass sie einsam sind. Das gibt man lieber nicht zu. Und wenn man es lange hinausgezögert hat, dann ist es oft zu spät. Mutlos sitzen viele allein lebende Menschen in den großen Städten in ihrer Wohnung. Aber ohne ein Gegenüber, ohne Ansprache und die menschliche Nähe eines anderen kann keiner leben. Wenn ich als Pfarrer von so jemandem erfahren und dann einen Besuch gemacht habe, ist nicht selten ein Damm gebrochen. „Ja, ich bin furchtbar einsam. Und freue mich so, dass sie mich besuchen kommen.“ Einsame Menschen erzählen dann, was sie brauchen, wonach sie sich sehnen, und dass es ihnen trotzdem kaum gelingt, aus ihren vier Wänden auszubrechen. Die geben immerhin Schutz. Wer weiß, was einen dahinter erwartet. Oft haben mir einsame Menschen davon erzählt, wie sehr sie enttäuscht worden sind. Wie sie mit ihrer Art angeeckt und schließlich abgelehnt worden sind. Wem das mehrfach passiert, der zieht sich irgendwann zurück, und merkt oft gar nicht, dass das keine Lösung ist. Was ist mit denen, die sich im Laufe der Jahre völlig verkrochen haben? Und mit denen, die eben nicht mehr aus dem Haus können, weil sie alt oder krank sind? Die gibt es ja auch in zunehmendem Maß. Als Pfarrer mache ich zwar regelmäßig Besuche. Aber weder kann noch soll ich alle besuchen. Der Blick auf die Menschen, die um mich herum leben, das gehört zu jeder Nachbarschaft dazu. Sonst kann man irgendwann einmal nicht mehr von Zusammen-Leben sprechen. Dann ist’s nur noch ein nebeneinander her leben. Und dafür taugt der Mensch nicht, weil er ein soziales Wesen ist.

Von der Stadt Augsburg wurde nun das Projekt OPENDOT[1] ins Leben gerufen. Ein roter Punkt, den ein Einsamer an die Haustüre oder den Briefkasten heftet, signalisiert: Ich würde mich über einen spontanen Besuch und einen nachbarschaftlichen Plausch freuen. Klingeln Sie doch einfach bei mir!“ Natürlich muss, wer allein/einsam ist, diese Hürde nehmen, und den roten Punkt tatsächlich aufhängen. Das kostet zunächst bestimmt Überwindung. Aber dann ist es an dem, der das sieht, den nächsten Schritt zu machen. Zu klingeln, sich vorzustellen. Ein Gespräch kann ganz schnell entstehen. Und aus dem ersten vorsichtigen Geplänkel wird manchmal ein tiefer Austausch. Und wenn erst das erste Eis gebrochen ist, entsteht womöglich sogar eine neue Freundschaft. Oder sogar ein Kreis von Nachbarn, die sich immer wieder treffen. Und dann braucht es auch den roten Punkt nicht mehr.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27110
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