Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Verzeihen soll der Mensch. Siebenundsiebzigmal. So empfiehlt Jesus es seinem ersten Jünger, dem Petrus. Und weil sich das so übertrieben anhört und provokativ ist, gehen die Bibelforscher davon aus, dass es sich um ein originales Jesus-Wort handelt, eines, das er tatsächlich so gesagt hat.

Petrus fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.[1]

Siebenmal wäre ja schon viel. Zu viel. Wer schafft das schon, so nachsichtig und geduldig zu sein. Ein-, zweimal, ja, aber dann ist Schluss. Schließlich lasse ich mich nicht an der Nase herumführen. Wenn jemand immer wieder den gleichen Fehler macht und mir damit schadet, dann muss ich doch von dem erwarten können, dass er sich in Zukunft anstrengt. Spätestens nach dem dritten Mal ist’s aus. Dann will ich nicht mehr.

Und da sagt Jesus: Doch Du sollst. Du musst, wenn der andere dich nur bittet, ihm zu verzeihen. Du musst es immer tun. Rechenspiele nützen nichts. Es gibt keine Grenze, wann es mit der Vergebung vorbei ist. Denn: Von der Vergebung lebt der Mensch. Sie ist so wichtig wie das tägliche Brot und wie die Luft zum Atmen. Wer nicht mehr vergeben kann, gibt seine Menschlichkeit auf. Also: Rechne nicht. Wenn einer mehrmals mit einem Fehler zu Dir kommt und sich entschuldigt: Tu so, als wäre es das erste Mal.

 

Ich erzähle davon mit Bedacht heute. Am ersten Schultag nach den großen Ferien in Baden-Württemberg. Weil ich davon überzeugt bin, dass die Kinder in der Schule das auch lernen sollten. Ich halte das Einüben von Vergebung für einen zentralen Unterrichtsgegenstand. Nicht dass man das lernen könnte wie das Lösen einer mathematischen Gleichung oder sich eintrichtern wie Vokabeln. Aber es ist wichtig, Erfahrungen damit zu machen, was es heißt zu vergeben, und es selbst zu üben. Es kommt leider immer mal wieder vor, dass ich einem Schüler zu nahe trete und ihn verletze. Ich habe gelernt, mich dann zu entschuldigen, und nur gute Erfahrungen damit gemacht. Vor der Klasse. Offen und ehrlich. Ein Erwachsener, der sich entschuldigt, der über seine Fehler sprechen kann, das hilft den Jüngeren, es ihm gleichzutun. Ich hoffe, dass viele Schüler, Lehrer und Eltern damit gute Erfahrungen machen in den langen Wochen des neuen Schuljahrs.

 


[1] Matthäus 18,21f.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27108
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