Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Erst vor kurzem hat wieder eine große Handelskette ihre Beschäftigten aus der Tarifbindung entlassen. Die befürchten nun Lohneinbußen bis zu 23 %. Die Aktionäre jubeln, denn Kostensenkungen treiben die Kurse nach oben. Gegenwärtig arbeitet grade mal noch die Hälfte der Arbeiter und Angestellten in Deutschland unter dem Schutz eines Flächentarifvertrags. 

Ich glaube, die Väter und Mütter des Grundgesetzes drehen sich im Grab. Warum nur  haben sie damals die Tarifautonomie ins Gesetz geschrieben, wenn immer mehr Unternehmen aus den Tarifen fliehen? Da übergibt der Gesetzgeber einen Teil seiner gesetzgeberischen Macht an Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, weil er nur sie für kompetent hält, solide Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Doch dann lehnt die eine Seite dankend ab! Dabei kann man sich mit flächendeckenden Tarifverträgen schmutzige Billiglöhne als lästige Konkurrenz vom Leibe halten und Wettbewerbsgleichheit schaffen. 

Was mich dabei als Christ und Seelsorger bedrückt: So geht man nicht mit Arbeit um! Das ist die eindeutige Botschaft der Bibel: „Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert“, heißt es im Lukasevangelium (10,7). Sogar der Lohn der Tagelöhner wird zuerst ordentlich vereinbart, liest man im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matthäusevangelium 20). Wer Lohn vorenthält, landet gar vor dem Kadi (Jeremias 22,13; Jakobusbrief 5,4). 

Gemeinsam ausgehandelte Tarifverträge sorgen nicht nur für gerechten Lohn – sie respektieren vielmehr die Arbeit als gleichwertig mit dem Kapital. Das hat mit Achtung, mit Wertschätzung und Würde zu tun. 

Dass beide Kirchen ihren Beschäftigten ordentliche Tarifverträge verweigern, habe ich ihnen immer schon übel genommen. Sie machen sich dabei als große Arbeitgeberinnen unglaubwürdig. Mustergültige Arbeitsbeziehungen wären heute ein Leuchtzeichen, eine Markierung für Gottes Gerechtigkeit, die wir verkünden. 

Dank und Anerkennung gebührt jenen Unternehmen und jenen Arbeitgeberverbänden, die mit den Gewerkschaften ordentliche Verträge schließen. Sie leisten einen enormen Beitrag zum sozialen Frieden im Land und sichern damit auch den Standort.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26922
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