Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Annika Simon ist 20 Jahre alt. Sie hat nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr in England in einer Behinderteneinrichtung gemacht. Mit den pflegebedürftigen Menschen dort hat sie als Hilfskraft erste Erfahrungen gesammelt. Sie weiß, was es heißt, in der Pflege zu arbeiten. Eigentlich wollte sie Medizin studieren, jetzt macht sie seit September letzten Jahres die 3-jährige Ausbildung zur Altenpflegerin in einer ambulanten Pflegeeinrichtung hier in Deutschland. Annika stört es gewaltig, dass der Beruf des Altenpflegers so ein schlechtes Image hat. Deshalb hat sie ein Gedicht geschrieben mit der Überschrift „Die Altenpflege – (m)eine Berufung“. Das M von „meine“ hat sie in Klammern gesetzt.
„Wir sind die, die den Abschied begleiten, die die Menschen an die Hand nehmen und leiten. Wir tragen jedes Lächeln, das gelacht wird, jede Träne, die geweint wird und jedes Wort das gesagt wird.
Nicht das Geld ist, was uns antreibt, nicht das Ansehen, das geteilt wird. Was uns bewegt, das sind Geschichten, Geschichten von Menschen, die das Leben lebten. Menschen, die Höhen und Tiefen durchlebten. Menschen, die von Leid, Angst und Verlust geprägt, das Glück der Liebe, des Lebens und des Menschseins verstehen.
Es sind diese Geschichten, die den Beruf zur Berufung machen, die uns Ehrfurcht vor Narben und Falten spüren lassen. Geschichten, die das Leben insgesamt vollkommen machen.“
Und sie fährt fort: „Was können wir nicht alles lernen, von den Menschen, die schon vor uns lebten. Was nehmen wir uns nicht die Stunden, um zuzuhören, um zu erkunden, was die Weisheit des Lebens und der Menschheit ist.
Sieh dir die Betagten an, sie lachen, sie strahlen, sie stiften uns an, zu tun, was wir noch gar nicht können, das Leben genießen, uns Momente gönnen, in denen wir nicht ächzen, nicht jammern, nicht streiten, nicht hetzen, in denen wir lachen und strahlen und toben und fetzen. Ist das nicht, was Leben heißt?“
So fragt die Altenpflegeschülerin Annika Simon in Ihrem Gedicht und schließt:
„Diese, vom Leben geprägten Menschen, diese sind es, die uns Pflegekräften schenken, was Andere in ihrem Beruf vielleicht nie finden, was unbezahlbar ist und nun, was soll ich sagen... Noch Fragen?“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26852
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